Mit dem Baum kamen die Motten

GROSSSTADTREVIER Der Götterbaum kommt aus China, ist anspruchslos und hat sich stark ausgebreitet

Der chinesische Götterbaum (Ailanthus altissima) dürfte inzwischen der in Berlin verbreitetste Laubbaum sein. Dabei hat man 250 Jahre lang vergeblich versucht, ihn hier heimisch werden zu lassen. Lenné pflanzte ihn damals ins Palmenhaus auf der Pfaueninsel. Wenn sein Stamm astlos ist, ähnelt der Götterbaum mit seiner Krone aus Fiederblättern einer Palme.

Erst als Berlin in Schutt und Asche lag, 1945, fing der Götterbaum an, sich hier zu vermehren. Und wie! Er wächst aus Spalten zwischen Gehsteig und Mauerwerk und kommt listig zwischen Hecken hoch. Fast kann man sagen, er breitet sich heimlich aus: eine „gelbe Gefahr“, inzwischen zählt man Ailanthus zu den „100 schlimmsten invasiven Arten“.

Ich sehe ihn nicht so. Es ist noch nicht lange her, dass ich ihn identifiziert habe. In Ulrich Gutmairs Buch über die Nachwendezeit, „Die ersten Tage von Berlin“, geht es unter anderem um den amerikanischen Essigbaum (Rhus typhina). Mich haben dagegen Heiderose Häsler und Iduna Wünschmann in ihrem Buch über „Berliner Pflanzen“ für den chinesischen Götterbaum begeistert. Und seitdem behaupte ich, Gutmairs Sumachgewäch Essigbaum ist in Wahrheit ein Götterbaum. Sie sehen sich ähnlich und sind auch gleich vermehrungsfreudig.

Gärtner raten, sie nur in Betoneinfassungen auszupflanzen. Der anspruchslose und widerstandsfähige Götterbaum breitet sich unterirdisch aus, bis zu drei Meter im Jahr, daneben aber auch durch Samen. Dazu braucht es mindestens zwei Götterbäume, denn sie sind getrenntgeschlechtlich.

Um aus dem Zierbaum eine Nutzpflanze zu machen, führte man in Wien einst neben dem Götterbaum auch den Götterbaum-Spinner ein: einen schönen braunen Nachtfalter aus China, der an den Flügelenden eine schlangenaugenähnliche Zeichnung hat. Seine Raupen leben von Götterbaumblättern. Nach ihrer Verpuppung lässt sich aus ihrem Kokon eine Seide – die sogenannte Eri-Seide – herstellen: haltbarer und billiger als die übliche, laut Häsler und Wünschmann.

Als Schmetterling ist er seinem Götterbaum auch freiwillig nach Europa gefolgt. Man kann sagen: Der Götterbaum und der Ailanthus-Spinner leben in einer engen Beziehung, auch wenn Letzterer nicht zur Befruchtung der Baumblüten beiträgt, sondern nur seine Raupen sich von den Blättern ernähren lässt, die seine einzige Nahrung bilden.

Man kann deswegen noch weitergehen und sagen: Dieser Falter ist eine Ausweitung des vom Tageslicht lebenden Götterbaums in die nächtliche Luft … ein Spaß, den der Baum sich etliche Blätter kosten lässt.

Regelrechte Feldzüge

Kein Spaß sind dagegen die Feldzüge gegen den Götterbaum und damit gegen den Götterbaum-Spinner. Der Invasionsbiologe Ingo Kowarik schreibt: „Seine Bekämpfung hat im Mittelmeerraum bereits hohe Kosten verursacht. Als wirksame Methode zu seiner Vernichtung erwies sich, den Baum zu fällen und die Austriebe mit Glyphosat (Monsanto) zu behandeln. Und in den USA setzt man den Rüsselkäfer Eucryptorrhynchus brandti ein, um ihn biologisch zu bekämpfen.“ Helmut Höge