Menschenrechte

Dort, wo Prostitution verboten ist, machen die Frauen die schlimmsten Erfahrungen, sagt Amnesty International. Ein Streit ist entbrannt

Huren- oder Freierhilfe?

Menschenrechte Amnesty International beschließt, sich für die Entkriminalisierung­von einvernehmlicher Prostitution einzusetzen. Grund: Dies schütze die Frauen besser

Szene aus einem Hotel im thailändischen Badeort Pattaya, Ziel von Sextouristen aus aller Welt Foto: James Whitlow Delano/laif

von Ralf Leonhard

WIEN taz | Als die Delegierten von Amnesty International sich in Dublin zu ihrem International Council Meeting trafen, ahnten sie schon, dass es hoch hergehen würde. In ihren Hotelzimmern fanden sie Flugblätter feministischer Lobbygruppen vor, die in der Nacht durch den Türschlitz geschoben wurden. Was die Gemüter so erhitzte: Die Organisation will sich künftig für die Entkriminalisierung der Prostitution einsetzen. Die Entscheidung fiel mit Zweidrittelmehrheit am Dienstag nach einer viertägigen Sitzung in der irischen Hauptstadt.

Der Beschluss hatte schon im Vorfeld reichlich Staub aufgewirbelt. Leinwand-Stars wie Kate Winslet, Meryl Streep und Emma Thompson meldeten sich warnend zu Wort. Der liberale englische Guardian feuerte aus allen Rohren gegen Amnesty ebenso wie in Deutschland die feministische Emma.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich, wundert sich indes über die Reaktionen: Unter den 400 Delegierten aus 70 Ländern sei im vergangenen Jahr zwar heftig diskutiert worden. Die prinzipielle Fragestellung „Wie schützt man Frauen vor Ausbeutung?“ sei aber nie umstritten gewesen, sagte er der taz.

Opposition innerhalb der Versammlung habe sich „quer über den Globus verteilt“. Kulturelle Unterschiede hätten dabei eine Rolle gespielt, religiöse Argumente überhaupt nicht. Einen feministischen Block innerhalb von Amnesty gebe es nicht. Im Übrigen hätten sich auch bei feministischen Gruppen außerhalb Zustimmung und Ablehnung die Waage gehalten.

„Prostituierte sind eine der am meisten vernachlässigten Gruppen in der Welt, die in den meisten Fällen ständig dem Risiko von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind“, erklärte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty nach der Sitzung. „Unsere weltweite Bewegung ebnete den Weg, dass wir eine Politik verfolgen können, die den Schutz der Menschenrechte von Prostituierten fordert.“

In einem mit 7. Juli datierten Entwurf, das den Delegierten und allen Sektionen im Vorfeld zugeleitet wurde, beruft sich Amnesty auf zahlreiche Studien von UN-Agenturen, Menschenrechtsorganisationen und Sozialforschern, aus denen hervorgehe, dass die Kriminalisierung „Prostituierte einem höheren Risiko von Menschenrechtsverletzungen aussetzt“.

Die Verfasser des Papiers stellten klar, dass Amnesty International nicht von seiner Position gegenüber Zwangsarbeit und Menschenhandel (einschließlich des Handels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung) abgehe: Diese müssten verfolgt und bestraft werden.

Amnesty verwendet den Terminus sex worker, der im Englischen geschlechtsneutral ist und auch Transgenderpersonen einschließt. Für radikale Gruppen, die sich in den Foren empören, macht sich Amnesty mit diesem Begriff „zum Komplizen der Zuhälter und der weltweiten Industrie der sexuellen Ausbeutung“. Heinz Patzelt gibt sich aber gelassen: „Wir nennen die Dinge beim Namen.“ Moralisierende Bedenken seien fehl am Platz. Schließlich gehe es um konsensualen Sex unter Erwachsenen: „Das geht den Staat nichts an.“ Kriminell, so die Position der Menschenrechtsorganisation, sei die Sache, sobald dabei Zwang im Spiel ist.

„Es soll niemand ins Gefängnis, der nichts angestellt hat. Prostituierte gehören nichtins Gefängnis.Sie gehören befreit und geschütztvor Ausbeutung“

Heinz Patzelt, AI Österreich

Zwei Jahre lang haben Expertenteams von Amnesty in verschiedenen Ländern von Argentinien bis Papua Neuguinea Studien erstellt, die den jüngsten Beschluss mit Fakten unterfüttern. Das Ergebnis ist, dass die Kriminalisierung der Sexarbeit Diskriminierung der Prostituierten mit sich bringe. Dort, wo sie verboten ist, berichteten Prostituierte über die übelsten Erfahrungen. Einzelne Aussagen über Polizeigewalt und Schutzlosigkeit lesen sich erschütternd.

Ein ganz wesentlicher Aspekt für die als Gefangenenhilfsorganisation entstandene Menschenrechtsinstanz sei der Grundsatz gewesen: „Es soll niemand ins Gefängnis, der nichts angestellt hat.“ Heinz Patzelt: „Prostituierte gehören nicht ins Gefängnis. Sie gehören befreit und geschützt vor Ausbeutung.“

„Entkriminalisierung der Sexarbeit heißt nicht völliges Fehlen von Regulierungen“, stellt das Positionspapier klar. Vielmehr „bedeutet es, dass jede Regulierung auf den Respekt vor und den Schutz der Menschenrechte der Sexarbeiterinnen, etwa durch Arbeitshygiene und Sicherheitsstandards, gerichtet sein muss.“

„Der Beschluss ist noch nicht unsere Policy“, sagt Patzelt. Diese werde erst in den nächsten Monaten präzise ausformuliert und in spätestens einem Jahr durch ein kleineres Gremium beschlossen werden.