DASS DIE BAUERN IN DER GEGEND SICH IN GROSSEM STIL AM ABWASSER VERSÜNDIGEN, IST BLOSS EIN GERÜCHT. SO WIE DAS MIT RUTH, IHREM MANN UND DEN AUFFALLEND ROTHAARIGEN KINDERN
: Die Liebe zum Heu

Foto: Lou Probsthayn

Vogelfluglinie

von Rebbecca Clare Sanger

Gewehr bei Fuß stehen die Bauern zur Ernte. Mit dicken Bäuchen über blauen Arbeitshosen stehen sie neben dem gelben Korndrescher, der die eigentliche Arbeit macht. Traktoren fahren in die letzten Ecken Raps und die Bauern hoffen, dass ihnen ein paar Hasen, Füchse oder Rehe aufgeschreckt direkt vor die Läufe laufen. Weil gerade kein Regen droht, haben die alten Herren Zeit für solche Späße. Sie sind mir fremd, nach wie vor, aber seit einigen Tagen verbindet uns etwas: die Liebe zum Heu.

„Was brauchst du, Heu?“, hatte der Bürgermeister mich vor-vor-gestern gefragt, mich an den Essenstisch gesetzt, es war Sonntagmittagszeit, einen Saft eingeschenkt, „Thomas, Pollerup“ auf seine Visitenkarte geschrieben und eine Telefonnummer. „Wenn du noch etwas brauchst, ruf an.“ Der Bürgermeister hält Boerziegen –und die Hand über sämtliche Bauern der Gegend, die Abwassersünden begehen, im großen Stil. Sagen zumindest Bekannte.

„Eine Kälberhütte oder ein Unterstand?“, hatte „Thomas, Pollerup“ gefragt, und uns die Telefonnummer von Brian gegeben, in Kelbylille, der gerade mit Kühen aufgehört hatte. Eine solche Hütte, in der die Kälber nach nur einem Tag alleine stehen, getrennt von Müttern und Artgenossen, umzuwidmen in einen Ziegenunterstand, das machte mich stolz. Und betroffen. Ein Mahnmal. Fand ich. Erst in unserer Einfahrt merken wir, dass Thomas uns einen 250-Kilo-Ballen Heu auf den Anhänger geladen hatte. Einmal angekommen, ist es vorbei mit dem Parken.

„Wrap?“, fragte Brian in Kelbylille, der eigentlich für nichts Zeit hatte, heute hing Bewölkung am Himmel und Korn an den Ähren, und gab uns die Telefonnummer von Kenneth, aus Søndermarke, den wir gleich am nächsten Tag aufsuchen wollten.

„Ah, wo kommt ihr her?“ fragt uns ein alter Mann in Søndermarke. „Hjertebjerg!“, kaut er langsam den Namen unseres Dorfes wieder, speichelt ihn ein, und endlich fallen die Groschen. „Wir wohnen im Haus von Ruth“, erläutern wir. „Weißt du? Die glückliche Witwe!“ –„Alle ihre Kinder hatten rote Haare“, sagt der alte Mann nun. Das hatten wir auch schon gehört, und dass die Haarfarbe nicht von ihrem Ehemann gekommen sei. In seinen roten Jogginghosen und dem gelben Poloshirt scheint der alte Mann vor uns dafür ein eher unwahrscheinlicher Kandidat, aber wer weiß? Von dem Wirtshaus, in dem Ruth gearbeitet hatte, sind es keine zwei Kilometer bis nach Søndermarke.

„Nehmt euch einfach einen Ballen mit“, sagt der alte Mann weiter, „ich weiß auch nicht, wo Kenneth steckt.“ Aber da kommt Kenneths Sohn, in dem ich einen meiner früheren Schüler erkenne. Auch er hat blaue Arbeitshosen an und wirft 40 Kilo nasses Heu ohne Mühe auf unseren Anhänger.

Vielleicht hätten wir schon viel früher anfangen sollen, uns auf die Ziegenhaltung vorzubereiten, um so an der Inselgemeinschaft teilzuhaben. Vielleicht hätten wir viel früher anfangen sollen, uns auf die Ziegenhaltung vorzubereiten. Auch deswegen, weil diese nun seit vor-vor-vor-gestern in unserem Garten stehen.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz hat der Verlag Michason & May veröffentlicht.