Mehr Musik, weniger Business

Pop Das neue Festival Pop-Kultur will alles besser machen. Statt zähem Musikbusiness-Treff wie beim Vorgänger Berlin Music Week setzen die Macher auf exklusive Konzerte, Workshops und Lesungen

Man erzählt sich, dass die Türsteher wirklich jeden hineinlassen werden.

von Andreas Hartmann

Fünf Jahre lang gab es die Berlin Music Week, einen Branchentreff der Musikindustrie, bei dem tagsüber vom Fachpublikum über Themen wie den „Digitalen Wandel“ diskutiert wurde und abends gab es dann über die Stadt verteilt in den diversesten Veranstaltungsorten Konzerte und Partys. Die Berliner bekamen von der Musikwoche eigentlich kaum etwas mit, vielleicht war ein wenig mehr los in der Zeit, aber so richtig fiel das gar nicht auf. Der offizielle Nachfolger der Berlin Music Week, das „neue Festival für Berlin“, als das sich Pop-Kultur versteht, generiert dagegen nun alleine schon dadurch Aufmerksamkeit, indem er konzentriert und gebündelt an einem einzigen Ort stattfinden wird. Und zwar nicht an irgendeinem in der Stadt, sondern mitten in deren popkulturellem Herzen, dem Berghain. Der ganze Club und dessen Satelliten, die Panorama-Bar, die Kantine, ja selbst die Garderobe, werden drei Tage lang bespielt, mit Panels, Lesungen, Konzerten und Partys. Man erzählt sich übrigens, dass die Türsteher auch in letztere wirklich jeden hineinlassen werden. Hey, Physikstudent aus Spanien, das ist deine Chance!

Worum es bei der Berlin Music Week genau ging, hat während ihrer fünfjährigen Existenz eigentlich niemand verstanden. Mehr als ein großes Hurra auf die hiesige Kreativwirtschaft konnte man da nicht erkennen. Das von einem neuen Team rund um das Berliner Musicboard und die Konzertveranstalter Christian Morin und Martin Hossbach kuratierte Pop-Kultur-Festival wirkt da gleich viel pointierter und schlüssiger. Es definiert sich erst mal dadurch, was es bei ihm nicht geben wird, etwa Veranstaltungen für exklusiv akkreditierte Business­people. Pop-Kultur wird für alle da sein.

Wen man ebenfalls am Pop-Kultu“-Wochenende im Berghain nicht erwarten sollte, und das steht extra auf der Homepage des Festivals: Sami Slimani und Bibis Beauty Palace, also sogenannte Influencer und sogenannte YouTube-Stars. Und Robbie Williams. Nein, der wird auch nicht kommen, womit man wohl irgendwie sagen will, dass man bei Pop-Kultur auf ­Oberflächlickeiten und das Einladen großer Stars als Zugpferde, so wie es in der Festivalbranche sonst üblich ist, verzichtet. Immerhin kommt Elijah Wood, aber nicht als Hollywood-Star, sondern versteckt als Teil des DJ-Duos Wooden Window.

Auch Humor und Selbstironie hält jetzt ganz offensichtlich Einzug in die Veranstaltung. „Pop-Kultur nimmt Pop-Kultur ernst“, heißt es mehrfach auf der Homepage des Festivals. Dann folgen hinter dieser Aussage ein „meistens zumindest“ und danach spaßige Clips, die erörtern sollen, was es eigentlich mit dem kryptischen offiziellen Festivalslogan „It began in Berlin“ auf sich hat. In der deutschen Hauptstadt, so erklären diese, wurden ja immerhin bereits der Glamrock, der Pogo und der Death Metal erfunden. Aber diese Aussage kann natürlich gar nicht ernst gemeint sein, da zumindest der Pogo von den Toten Hosen in Düsseldorf entwickelt wurde.

Es gibt Festivals, auf die wirklich jede gerade einigermaßen angesagte Band eingeladen wird, in der Hoffnung, dass für jeden Geschmack schon etwas dabei sein wird. Bei Pop-Kultur gewinnt man diesen Eindruck nicht. Über 60 Acts werden zu sehen sein, also eine ganze Menge, und alle scheinen von einem ähnlich programmierten Geschmacksdetektor ausgesucht worden zu sein. Ziemlich Spex-kompatibel wirkt die Auswahl, also wie eine bunte Mischung aus Indie und Clubmusik, hoffnungsvollem Nachwuchs, alten Legenden und dem Hype der Stunde. Schnipo Schranke, das Hamburger Frauenduo mit den tollen Texten, wird nach ihrem Szenehit „Pisse“ sein Debütalbum präsentieren, Inga Copeland ihre abstrakten Beatbasteleien, der musikalische Tausendsassa Matthew Herbert wird auftreten und die große Neneh Cherry. HipHop-Hipster dürften besonders gespannt sein auf den Auftritt von HO99O9 aus den USA mit ihrem an Death Grips erinnernden aggressiven Rap-Gebolze.

Nicht bloß Konzerte werden einem bei Pop-Kultur versprochen, sondern echte Ereignisse. Die Berliner Band Fenster wird einen eigens gedrehten Film zeigen, der Elektronikmusiker Pantha Du Prince mit seinem neuen Bandprojekt Triad auftreten und Owen Pallett, der unter anderem die Streicher­arrangements für die Band Arcade Fire verfertigt, gemeinsam mit der Berliner Experimentalgruppe Stargaze. Von den vielen Bands aus der Hauptstadt, die auftreten werden, sei an dieser Stelle besonders Isolation Berlin mit ihrem grandios schlechtgelaunten Indiepop hervorzuheben.

Außerdem bei Pop-Kultur: ­Lesungen von Andreas Dorau und Sven Regener, den Postpunkikonen Viv Albertine und Bernard Sumner, Talks über Sexismus in der Popkultur und aktuelle Fragen rund um das Urheberrecht. Für das letztgenannte Panel wird dann doch noch ein echter Promi als Gast angekündigt, nämlich Justizminister Heiko Maas. Vielleicht ist das aber auch nur ein weiterer Witz der Veranstalter.

Pop-Kultur im Tempel der Popkultur

Kämpft mit der Entropie des Alltags zwischen Narzissmus und Selbstbespiegelung: die Londoner Musikerin Ebony Bones Foto: Promo

„Pop-Kultur“ ist ein neues Festival. Als offizieller Nachfolger der „Berlin Music Week“ präsentiert es sich mit neuem Konzept. Dazu gehört, dass es nicht mehr dezentralisiert über die Clubs der ganzen Stadt stattfindet, sondern an einem einzigen Ort, dem Berghain. Drei Tage lang wird man hier über 60 Acts zwischen Indierock und Clubmusik sehen können. Newcomer wie Schnipo Schranke treffen auf Elektronik-Exzentriker wie Owen Pallett oder Neneh Cherry, die schon in den frühen Achtzigern ein Star der Postpunkszene war. Diskussionsrunden und Lesungen runden das Programm ab. AHA

„Pop-Kultur“: 26. 8. bis 28. 8. im Berghain, www.Pop-kultur.berlin