Exklusive Staatsgeheimnisse

Landesverrat Das Justizministerium sah im „Netzpolitik“-Fall keine Staatsgeheimnisse verletzt – aber nur, weil es „Vorveröffentlichungen“ von anderen Medien gab

Ein Demonstrant vor der US-Botschaft trägt eine selbstgebaute Abhöranlage auf dem Kopf Foto: Sven Hoppe/ dpa

von Christian Rath

Journalisten, die exklusiv über Geheimdienstinterna berichten, müssen auch künftig mit Strafverfahren wegen Landesverrats rechnen. Selbst das Bundesjustizministerium hat in seinem Geheimgutachten zum Netzpolitik-Fall keine Entwarnung gegeben. Sicher sind Journalisten demnach nur, wenn sie bereits veröffentlichte Informationen aufgreifen.

Seit Mai ermittelte die Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats gegen die Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl und Andre Meister. Sie hatten neue Möglichkeiten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur „Massendatenauswertung“ beschrieben. Nach großer öffentlicher Empörung stellte die Bundesanwaltschaft das Verfahren am 10. August ein. Zuvor hatte das Justizministerium (BMJV) eine „fachliche Einschätzung“ übermittelt. Danach seien in den beiden Netzpolitik-Artikeln keine Staatsgeheimnisse verletzt worden. Ein Staatsgeheimnis ist im Strafgesetzbuch (Paragraf 93) als Information definiert, deren Veröffentlichung schwere Nachteile für die „äußere Sicherheit“ Deutschlands mit sich bringen könnte.

Bisher ist die BMJV-Expertise geheim, nur die Abgeordneten des Rechtsausschusses konnten sie vorige Woche lesen. Die Argumentation des Ministeriums ist deshalb bisher nur in Umrissen bekannt. Nach taz-Informationen wurde beim ersten Netzpolitik-Artikel darauf abgestellt, dass zvor bereits andere Medien – insbesondere die Süddeutsche Zeitung und tagesschau.de – über die „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ (EFI) berichtet hatten. Diese Vorveröffentlichungen führten dazu, dass der Februarartikel von Netzpolitik im Kern gar kein Staatsgeheimnis mehr enthielt. Der zweite umstrittene Netzpolitik-Artikel vom April enthielt laut BMJV zwar neue Informationen, insbesondere die Stellenpläne der sechs neuen Verfassungsschutzreferate. Dort war aber nur nachzulesen, wie die Arbeitsteilung der Referate aussah, wer in Köln und wer in Berlin arbeitete und ob die Stellen dem höheren, gehobenen oder mittleren Dienst zuzurechnen sind. Diese Informationen hätten für sich genommen nicht das erforderliche Gewicht, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit Deutschlands zu erzeugen. Im Umkehrschluss besagt diese Argumentation, dass die neuen Verfassungsschutzpläne an sich durchaus ein Staatsgeheimnis sein könnten. Und bei Erstveröffentlichung hätte durchaus die Strafverfolgung wegen „Landesverrats“ oder „Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen“ gedroht. Süddeutsche Zeitung und tagesschau.de müssen sich nun zwar keine Sorgen machen, denn ihre Beiträge datieren aus dem Juni 2014 und sind inzwischen verjährt. Der Vorgang zeigt aber, dass die Landesverratsparagrafen dringend entschärft werden müssen. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat bereits entsprechende Überlegungen zugesagt.

Der Vorgang zeigt, dass die Landesverratsparagrafen entschärft gehören

Noch aber gilt die alte Rechtslage. Das könnte etwa für die Journalisten der Zeit relevant sein, die am Dienstag ein geheimes Verfassungsschutzdokument exklusiv veröffentlichten. Auf zeit.de wurde ein Vertrag (Terms of Reference) zwischen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem US-Geheimdienst NSA publiziert. Dort sagt die NSA zu, dass sie dem BfV die legendäre Analysesoftware XKeyscore überlässt, mit der das Amt Daten, die es bereits erhoben hat, besonders effizient durchsuchen kann. Im Gegenzug will der Verfassungsschutz, „soweit wie maximal möglich“ Daten an die NSA übermitteln. Der Vertrag von April 2013 ist als „geheim“ klassifiziert. XKey­sco­re ist beim Verfassungsschutz immer noch „im Testbetrieb“, wie das Kölner Amt auf Anfrage mitteilte.

Nicht mitteilen wollte der Verfassungsschutz, ob es sich bei dem geleakten Dokument um ein Staatsgeheimnis handelt, auch nicht, ob die Zeit-Journalisten nun mit einer Strafanzeige rechnen müssen. „So etwas kommentieren wir nie öffentlich“, sagte eine Sprecherin.