Standard Es gibt Dinge, die so gut sind, dass alle sie haben wollen. Und es gibt Dinge, die praktisch sind, weil sie einer Norm folgen
: Es geht auch anders, aber so ist’s besser

Ich brauch keinen blöden Spruch auf meinem T-Shirt
: Das Unterhemd

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Was:Unterhemd/T-Shirt, meist aus Baumwolle, in Doppelripp (doppelter Abstand der flachen Rippen zu den nach oben gewölbten Rippen). Wegen seiner hohen Elastizität hat sich der Doppelripp gegen den Feinripp bei der Unterwäsche durchgesetzt.

Wann:Die Evolution der Männerunterwäsche ist anders als die der Frauen ein weißer Fleck in der textilhistorischen Forschung. Klar ist nur, dass die Ärmel immer kürzer wurden. Die erste industriell hergestellte, zweiteilige und kurzärmlige Unterwäsche verkaufte 1901 die amerikanische P. Hanes Knitting Company in North Carolina. In den zwanziger Jahren wurde das T-Shirt ins Webster‘s Dictionary aufgenommen, da es sich als Sportoberbekleidung durchzusetzen begann. 1948 ließ der Präsidentschaftskandidat Thomas Dewey erstmals Unterhemden mit einem Wahlspruch bedrucken. Ab den Fünfzigern setzte sich das Unterhemd durch Auftritte an den strammen Körpern von Marlon Brando und James Dean als Oberbekleidung durch.

Wer: Angenommen wird, dass Seeleute und Piraten als erste kurzärmlige Oberbekleidung ohne Knöpfe, sogenannte Takelhemden trugen, weil Knöpfe durch die Feuchtigkeit auf See schnell verrosteten. Um 1900 soll die Royal Navy auf Geheiß Queen Victorias erstmals kurzärmlige Hemden getragen haben. Eine andere Theorie besagt, dass der britische Adel dem Tee servierenden Personal kurzärmlige Hemden verordnete, woraus das Tea-Shirt entstand.

Wo: Weltweit.

Warum: Das T-Shirt ist zum Standard geworden, weil es jeder tragen kann, da es vielfach variierbar und einfach zu pflegen ist.

Wie schlimm: Das Verbot kurzärmliger Oberbekleidung in Behörden oder Kirchen oder das Tabu, sie bei feierlichen Anlässen zu tragen, erinnert daran, dass das T-Shirt eigentlich Unterwäsche ist.

Ein Quadratmeter, halbiert und halbiert und halbiert
: Das DIN-A4-Papier

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Was: Die Norm DIN EN ISO 216 regelt das Papierformat. Ausgehend vom Bezugsformat DIN A0 – das als Fläche von einem Quadratmeter festgelegt wurde – entsteht das jeweils kleinere Format stets durch Halbierung. Das Seitenverhältnis bleibt dabei immer 1/√2. Das gebräuchliche DIN-A4-Format ist 210 mm breit und 297 mm hoch.

Wann: Am 18. August 1922 wird die Größe als DIN-Norm 476 eingeführt, die Idee dafür ist schon deutlich älter. 1936 setzte sich das Format in Deutschland durch, in einigen anderen europäischen Ländern sogar etwas schneller.

Wer: Der Ingenieur Walter Porstmann, geboren 1886, gilt heute als Schöpfer der Norm. Er entwickelte sie als Mitarbeiter des Normenausschusses der Deutschen Industrie. Damit brachte er die Arbeit des Chemienobelpreisträgers Wilhelm Ostwald zum Abschluss, dessen Assistent er zuvor gewesen war. Ostwald hatte im Münchner Institut Die Brücke an einer „Weltformreihe für Druckwerke“ gearbeitet.

Wo: Berlin.

Warum: Früher schrieb man seine Briefe in allen möglichen Formaten, je nach Größe des Schöpfrahmens. Das Problem: Die Papiere passten dann oft nicht in die Umschläge und Aktenmappen. Das war nicht nur unpraktisch, sondern sorgte auch für viel Abfall, weil das Papier immer zurechtgeschnitten werden musste. Schon früher gab es deshalb mehr oder weniger erfolglose Versuche, das Format zu vereinheitlichen.

Wie schlimm? Diese Norm besticht nicht nur durch mathematische Eleganz: Ohne einheitliches Papierformat wäre unser Arbeits- und Alltagsleben um einiges umständ­licher. Schlimmist, dass in denUSA und Kanada sowie einigen weiteren LändernAmerikas immer noch auf „Letter“-Formaten gedruckt wird. Dabei wurde die DIN-Norm bereits 1975 internationaler ISO-Standard.

So viel Kaffee braucht der Mensch
: Der Plastikbecher

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Was: Der in Deutschland bekannteste Einwegbecher aus Plastik hat die nüchterne Bezeichnung PP 70,3. Die Buchstaben stehen für den Kunststoff, aus dem er gemacht ist: Polypropylen. Die Ziffern für den Durchmesser des Bechers, 70,3 Millimeter am oberen Rand. Um Kosten zu sparen, besteht der Becher, der aus dem Kaffeeautomaten fällt, aus dünnem, geriffeltem Plastik. Es gibt ihn in drei verschiedenen Größen. Die meistverkaufte Version fasst 180 Milliliter Flüssigkeit.

Wann: Der erste Plastikbecher wurde 1958 zum Patent angemeldet. Einwegbecher waren damals ein Novum und nicht nur sehr praktisch, sondern auch sehr hygienisch. Wer zum Beispiel in Zügen etwas trinken wollte, musste vorher seine eigenen Becher mitbringen oder Gemeinschaftsgefäße nutzen. Das war nicht immer förderlich für die Gesundheit. Wann sich das Standardmaß von 70,3 Millimeter Durchmesser durchgesetzt hat, ist schwer zu sagen: Bei den Plastikbecherherstellern kann sich niemand erinnern, ob das je anders war.

Wer: Eine zentrale Normierungsinstitution gibt es nicht. Die Becherhersteller richten sich nach ihren wichtigsten Kunden, den Automatenherstellern.

Wo: Der 70,3er ist Standard in vielen europäischen Ländern wie Deutschland, Österreich und den Beneluxstaaten. Die Briten haben einen anderen Normbecher mit einem Durchmesser von 73,5 Millimeter.

Warum: Wie viel Kaffee pro Portion braucht der tüchtige Büroarbeiter? 180 Milliliter, schätzten die Hersteller der Kaffeeautomaten. Und natürlich benötigen ihre Automaten Becher in der immer gleichen Form und Größe. Dabei hat sich über die Jahre der PP 70,3 durchgesetzt. Aber die Zeiten ändern sich: Dank Latte macchiato & Co geht seit einigen Jahren der Trend zum größeren Becher: PP 80 ist jetzt gefragt.

Wie schlimm: Plastik ist nicht so schön. Und wenn der Kaffee frisch ist, fasst man den Plastikbecher am besten nur am Rand an. Kein Wunder, dass er inzwischen starke Konkurrenz aus Pappe bekommen hat.

Wer hat an der Uhr gedreht?
: Die Standardzeit

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Was: Die Zonenzeit (standard time) ist die einheitliche Uhrzeit in einer der 24 gleichmäßigen, sich zwischen den Polen der Erde erstreckenden Zeitzonen.

Wann: In Großbritan­nien wurde die Mehrzahl der öffentlichen Uhren bereits 1855 standardisiert. Die Internationale Meridian-Konferenz von Washington legte 1884 den Nullmeridian und damit auch die ihm gegenüberliegende Datumsgrenze und die Weltzeit fest. An der Greenwich Mean Time orientierten sich bald fast alle europäischen Staaten, Frankreich schloss sich erst 1911 an. Im 20. Jahrhundert wurden die jeweiligen Zonenzeiten von der Weltzeit abgeleitet. Seit 1972 gilt die koordinierte Weltzeit (UTC). Sie vermittelt zwischen der Atomzeit und der astronomisch gemessenen, die Unregelmäßigkeiten der Erdumdrehung und die Sonnenstände widerspiegelnden Weltzeit.

Wer: Die Internationale Meridian-Konferenz von Washington legte die Weltzeit fest.

Wo: Weltzeit gilt weltweit. Allerdings orientieren sich die Zeitzonen nicht überall an den Längengraden. Obwohl sich etwa China über fünf Zeitzonen erstreckt, ticken die Uhren im ganzen Land gemäß Pekinger Zeit. Vor Kurzem hat Nordkorea angekündigt, seine Uhren um eine halbe Stunde zurückzustellen. Begründet hat Pjöngjang das mit dem Kampf gegen den Imperialismus.

Warum: Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein operierten die Städte mit lokalen Zeiten. Das wurde mit der Einführung der Eisenbahn zum Problem. Die britische Eisenbahn war die erste Institution, die am 11. Dezember 1847 eine Standardzeit einführte, die deswegen auch Eisenbahnzeit genannt wurde. In den USA variierte die Standardzeit anfangs nach Eisenbahngesellschaft. Bei der Interna­tionalen Meridian-Konferenz wurde auch beschlossen, dass der Welttag um Mitternacht beginnt, damit sich in Europa nicht mittags das Datum änderte.

Wie schlimm: Im 19. Jahrhundert war der Widerstand gegen die Kolonisierung der Lokalzeit groß. Auch heute fordern Aktivisten die Rückkehr zur Lokalzeit.

Unverändertes Eutersekret
: Die Milch

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Was: Kuhmilch besteht zu mehr als 87 Prozent aus Wasser und enthält Eiweiß, Kohlenhydrate, Vitamine, Spurenelemente, Fett. Im Handel innerhalb der Europäischen Union darf allein die Milch von Kühen als „Milch“ bezeichnet werden. Laut §2 der Milchverordnung ist Milch „das durch ein- oder mehrmaliges tägliches Melken gewonnene, unveränderte Eutersekret“. Sie wird unterschieden in Rohmilch, Vorzugsmilch, Vollmilch, fettarme Milch, Magermilch/entrahmte Milch, H-Milch, ELS-Milch („extended shelf life“, länger haltbare Frischmilch) und laktosefreie Milch.

Wann: Die Entwicklung der Milchwirtschaft begann im Zuge der Neolithischen Revolution. Erst wurden Ziegen und Schafe domestiziert, dann war der Auerochse, auch Ur genannt, dran. Schon Griechen und Römer kannten eine Gesundheitspolizei. Im 19. Jahrhundert wurden in Deutschland moderne Milchverordnungen erlassen. Die heute noch gültige Verordnung über Milcherzeugnisse stammt aus dem Jahr 1970. Sie enthält Anforderungen an die Herstellung und Verpackung, sowie Kennzeichnungspflichten, erlaubte Zusatzstoffe, Regelungen zu ausländischen Erzeugnissen und Strafen.

Wer: Der Internationale Milchwirtschaftsverband hat in Kooperation mit der Internationalen Organisation für Normung über 200 analytische Standards für Milch und Milcherzeugnisse entwickelt. In Deutschland sorgt der Verband der Deutschen Milchwirtschaft e. V. für die Normung und Standardisierung der Milch. In Zukunft wird eine Euro-Norm maßgeblich sein.

Wo: EU

Warum: Keime in der Milch können Menschen krank machen. Im 19. Jahrhundert wurde aber auch das Panschen und der Verkauf verdorbener Lebensmittel zu einem massiven Problem. Milch wurde mit Wasser, Kleister, Kreide, Gips oder Seifenlösung gestreckt. Erst kümmerten sich Verbrauchervereine um die Überwachung, 1879 wurde das erste Nahrungsmittelgesetz in Deutschland erlassen. Um die Qualität der Milch zu sichern, werden heute bei der Abholung der Rohmilch auf den landwirtschaftlichen Betrieben mehrmals im Monat Proben gezogen, um Fett- und Eiweißgehalt, die Zahl der Keime und Antibiotikarückstände zu messen.

Wie schlimm: Milchnormung ist ein Akt des Verbraucherschutzes. Manchen schmeckt Norm-Milch aber nicht.

Er passt in viele Dosen
: Der Eurostecker

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Was: Der Eurostecker ist auch bekannt als Flachstecker. Seine beiden Kontakte sind 4 mm stark, ihr Abstand beträgt 19 mm. Der Eurostecker darf mit maximal 2,5 Ampere belastet werden. Er ist nicht geerdet. Typische Geräte geringerer Leistung, für die der Eurostecker zugelassen ist, sind etwa Radios und Leuchten. Im Gegensatz zum alten deutschen Schukostecker sind seine Kontakt­stifte eigens isoliert.

Wann: Seit 1990 ist er der Standardstecker in Europa. Schon 1971 wurde er von der Internationalen Elektrotechnischen Kommission anerkannt.

Wer: Das Europäische Komitee für Elektronische Normung hat die Europäische Norm EN 50075 definiert. Sie entspricht den DIN-Normen VDE 0620-101 und DIN 49464.

Wo: Der Eurostecker wird in vielen Ländern Europas verwendet, findet aber auch auf anderen Kontinenten so manche Dose, die passt.

Warum: Die Standardisierung des Steckers hat viele Vorteile für Verbraucher und Industrie. Bei Reisen in Länder, in deren Steckdosen der Eurostecker passt, erübrigen sich Adapter. 35 Länder in Europa teilen diesen Standard, was den Handel begünstigt und Kosten senkt. Man kann den Eurostecker aber auch in Brasilien oder Israel benutzen. In einer idealen Welt wären die elektrischen Systeme überall standardisiert.

Wie schlimm: Wer in der Eurosteckerzone lebt, hat’s gut. Ärgern müssen sich Briten, Iren, Zyprer und Malteser. In ihre Dosen passt er nicht. Mit ihren Steckern können sie auf dem Kontinent wenig anfangen.

Von Doris Akrap, Sebastian Erb, Luciana Ferrando, Ulrich Gutmair, Christina zur Nedden
und Timo Nicolas

Weiß oder FF FF FF (8-bit-Dezimaldarstellung)

Was: Schnee, Wolken, Gips, Kalk, Marmor, Porzellan, Griechenland, das „Weiße Manifest“, das Sakko von Sonny Crockett in ­„Miami Vice“, Tennissocken, Birkenstocksandalen, Weißmeerflotte, Kokain, Haare, Weißraum, Zitroneneis, „The White Album“, Moby Dick, Zebrastreifen, Monobloc, das Weiße Haus, Apple und das, was beim Schwarzdenken fehlt.

Wann: Immer dann, wenn Licht vollständig absorbiert und nicht reflektiert wird und alle drei Zapfen der Netzhaut gleich intensiv gereizt werden.

Wer: Ein Weißer ist nicht nur ein Mensch mit heller Hautfarbe. Weißsein wird auch als soziale Kategorie benutzt: „White, but not quite.“

Wo: Für eine Infrarotkamera sind bei Nacht nicht alle Katzen grau, sondern weiß. Im Westen wird Weiß als Symbol von Frieden, Freude und Reinheit benutzt. In Afrika und China als Symbol für Alter und Tod.

Warum: Bei Farbmessungen und Fern­seh­über­tragungen ist Weiß ein Standard, der dem absoluten Reflexionsverhalten entspricht.

Wie schlimm: Empfindlich.

Standards

Was: Etwas, auf das sich eine Mehrheit einigen kann oder muss oder weil sie sich daran gewöhnt hat, etwas so und nicht anders zu tun.

Wann: Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem englischen „standard“ entlehnt, das auf das altfranzösische „estandart“ („militärisches Feldzeichen“) zurückgeht, das wiederum aus dem Germanischen entlehnt ist, der Substantivierung des altniederfränkischen *standhard („standfest“). Vor DIN oder ISO legte die Standarte des Königs die Leitlinien und Regeln fest.

Wo: Beispielsweise gilt im Fußball die Ecke, der Freistoß oder der Elfmeter als Standardsituation.

Wer: Der „Dubbel“, das „Taschenbuch für den Maschinenbau“ von Heinrich Dubbel, gilt im Bereich des Maschinenbaus als Standardwerk. Im Bereich der Etymologie ist das der „Kluge“, das „Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Friedrich Kluge.

Warum: Weil man nicht darauf vertrauen kann, dass jeder von alleine das Richtige macht, und es dann auch keine Menschenrechte geben würde.

Wie schlimm: Subjektiv.