VERZICHT? GERNE: AUF LINKSKONSERVATIVE ABLENKUNGSMANÖVER!
: Das Leben ohne Kühlschrank

taz-Chefreporter und Autor von „Öko: Al Gore, der neue Kühl- schrank und ich“ Morgen: Claus Leggewie

PETER UNFRIED

Als der Oberbürgermeister Boris Palmer mal beiläufig erwähnte, er habe keinen Kühlschrank, war ein Punkt erreicht, an dem die Tübinger die Schnauze voll hatten. Dienstwagen abschaffen, Fahrrad fahren, öffentliche Gebäude ökosanieren, Stadtwerke gegen Energiekonzerne positionieren, seine Beamten ins Spritspartraining schicken, alles schön und gut: Aber dass einer ohne Kühlschrank auskommen wollte, das begriffen die Leute nicht als gelebte Klimakultur, sondern als persönliche Bedrohung – und offenbar als ungleich akutere Bedrohung als den Klimawandel. Wo kommen wir denn da hin?

Sofort setzte ein, was derzeit immer einsetzt: die Abwehr-, Entlastungs- und Verdrängungsmaschine. So ein privilegierter Promi habe gut reden. Der fresse sich sicher jeden Abend an Buffets voll. Der brauche keinen Kühlschrank. Wie prätentiös. Andere in Afrika wären froh, wenn sie einen Kühlschrank hätten. Blablabla.

Ich schlage vor, dass wir in unserem gesellschaftlichen Kopenhagen-Protokoll radikalen Verzicht vereinbaren: Verzicht auf diese häufig leider linkskonservativen, also unproduktiven und energiefressenden Ablenkungsmanöver, die immer dazu dienen, den nicht bewahrbaren Status quo zu bewahren. Lassen wir den Mann doch seinen Biokäse auf der Fensterbank kühlen.

Aber was ist das, höre ich die Kritiker rufen, im Vergleich zu einem „erfolgreichen Klimakompromiss“ in Kopenhagen?

Würde ich mit entsprechender Selbstgefälligkeit und Kürze aus der gemütlichen Moralecke antworten, müsste ich sagen: Auch der denkbar erfolgreichste Klimakompromiss wird Millionen Menschen heimatlos machen oder gar töten, der Biokäse auf der Fensterbank dagegen eher nicht. Aber lassen wir das.

Zum einen braucht Klimakultur und Klimapolitik des 21. Jahrhunderts neue, authentische, identitäre Figuren und Lebensmodelle. Zum anderen möchten wir doch darüber sprechen, welche Klimakultur-Aktion jeder von uns bis zum Ende der Weltklimakonferenz durchzieht. Sagen wir, für Einsteiger: auf Ökostrom umsteigen.

Diese Frage habe ich heute morgen einem Freund gestellt: Was machst du?

Er sagte: „Ich schreibe einen Brief an die Bahn.“

Ich fragte: „Um eine Bahncard 100 zu bestellen?“

Er sagte: „Ne, um denen zu sagen, dass ich künftig fliege.“

Er hatte gerade eine „Entschädigung“ von 13,50 Euro dafür gekriegt, dass er eine Nacht in Köln verbringen musste, und das nagte an ihm. Ich sagte ihm, er solle einen Brief an die Bahn schreiben, mit dem er sie zum Komplettumstieg auf erneuerbare Energie bringe. Er schaute mich an wie einen Eisenbahnzug.

Aber ich weiß, er wird es tun. Denn in Wahrheit ist er angefixt. Und du bist es doch auch.