Pessimisten leben länger

Entgegen der weit verbreiteten Annahme kann auch gute Laune die Abwehrkräfte des Körpers schwächen

Wissenschaftler zweifeln: Ist Optimismus wirklich gut fürs Immunsystem? Die psychosomatische Forschung der letzten Jahre hat ergeben: Neben Bewegung und Ernährung wirkt auch die psychische Stimmungslage auf unser Immunsystem. Wobei sich Psychologen und Mediziner weitgehend darauf verständigt haben, dass eine optimistische Grundhaltung den Immunapparat stärkt, während Pessimisten mehr als andere damit rechnen müssen, sich einen Infekt einzufangen. Die Datenlage freilich liefert keine eindeutigen Belege für diese These.

So zeigten optimistische Aids-Patienten in Studien zwar ein ausgeprägteres Wohlbefinden, dafür jedoch ein schwächeres Immunsystem als Aids-Kranke, die mit Pessimismus durchs Leben gingen. Umgekehrt machen depressive Stimmungslagen laut Professor Volker Arolt vom Uniklinikum Münster nicht zwangsläufig anfälliger für Infektionen. In den letzten Jahren zeigten sich sogar Hinweise darauf, so der Psychologe, „dass bei akuten depressiven Patienten auch eine Aktivierung von Immunfunktionen vorliegen kann“. Sie haben oft einen erhöhten Wert an so genannten Akutphasenproteinen, die eine Schlüsselrolle bei Entzündungen spielen. Zudem lassen sich überdurchschnittlich viele weiße Blutkörperchen finden.

Optimisten fühlen sich also besser, doch ihr Immunsystem profitiert nicht unbedingt davon. Auf den ersten Blick ein Paradox, weil ein Ja zum Leben eigentlich die seelische und körperliche Verfassung gleichermaßen stärken sollte. Auf den zweiten Blick heißt Optimismus aber auch, dass die betreffenden Menschen sich mehr von Hoffnungen und Erwartungen tragen lassen und dementsprechend häufiger enttäuscht werden. Dass dies die Immunabwehr schwächeln lässt, liegt auf der Hand.

Denn wer immer wieder Enttäuschungen erlebt, leidet letzten Endes mehr als der „hoffnungslose Fall“, der mäßige oder miserable Lebenssituationen für selbstverständlich hält und sich dementsprechend routiniert mit ihnen zu arrangieren versteht. Nicht umsonst preist der Buddhismus die „nicht resignierende Hoffnungslosigkeit“ als einen Weg zu Glück und Wohlbefinden.

Andererseits warnt Suzanne Segerstrom von der University of Kentucky, dass man auch diese Formel nicht pauschalisieren sollte. Denn die Psychologin fand heraus, dass Optimismus nur dann die Immunabwehr angreift, wenn sich der Mensch in einer komplexen Stresssituation befindet, die er nicht verändern kann. „Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung werfen sich auch dann ins Gefecht, wenn sie gar nicht gewinnen können“, erklärt die Psychologin. Dies führe zu einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen, die wiederum längerfristig das Immunsystem schwächen. Und so kann dann ein optimistischer Aids-Patient am Ende tatsächlich früher sterben als ein Patient mit derselben Krankheit, der sich fatalistisch mit ihr abgefunden hat.

Bei kürzeren Stressreizen dagegen wirkt sich Optimismus positiv aus, die Ausschüttung von Stresshormonen bleibt im Rahmen und die Immunparameter bessern sich. In diesen Fällen profitiert also die Immunabwehr. Fazit: Wer in einer vorübergehenden Berufs- oder Partnerschaftskrise steckt, sollte sich seine gute Laune bewahren, wenn ihm seine Gesundheit lieb ist. Schade nur, dass man während dieser Bluesperioden meistens nicht weiß, ob und wann sie enden wird. JÖRG ZITTLAU