Reportage

Nach dem Hassexzess in Heidenau muss der Landtag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Beobachtungen aus Dresden

Mit Herz und Hetze

Herr Tillich muss sich unter der Last der Ereignisse am Pult stützen, hat sich eine Metapher ausgedacht und dämmert vor sich hin. Frau Petry starrt in die Ferne und erwacht, wenn sie ganze Völker anprangern kann

Willkommen in Heidenau! Foto: Arno Burgi/dpa

AUS DRESDEN Thomas Gerlach

„Don’t cry form me, Argentina!“ Aus den Lautsprechern des Landtages flossen schon einige sanfte Instrumentals, jetzt legt sich der Musical-Hit über die noch leeren Stühle. Es scheint, als hätte der Hausmeister einen Wink aus der Staatskanzlei erhalten. Denn ebenso emphatisch und gefühlvoll wird auch Stanislaw Tillich gleich sein Volk ansprechen. Zuvor aber stellt die Polizei Absperrzäune um den Landtag auf. Unnötig an diesem Tag, wie sich herausstellen wird.

„Ich möchte mich an Sie, alle Bürgerinnen und Bürger des Freistaates Sachsen, wenden“, hebt Tillich an und führt ohne Umschweife zu den Krawallen von Heidenau. Eine enthemmte Minderheit besudle das Land. „Hier erheben sich Menschen über Menschen, ohne sich auch nur irgendwie für deren Leben und deren Schicksale zu interessieren“, fährt der 57-Jährige fort. Gewalttätige Extremisten haben Gesellschaft und Frieden bedroht. „Dagegen muss es einen Aufstand aller in unserem Land geben.“

Der erste Applaus ist mächtig und er kommt nicht nur von der CDU-Fraktion. Nein, bis auf Frauke Petrys AfD klatschen viele, auch bei der Linkspartei.

Tillich ist dienstältester Ministerpräsident in Deutschland und es scheint, die sieben Jahre haben kaum Spuren hinterlassen. Silbernes Haar, glatte Haut, faltenloser Anzug – Tillich wirkt makellos. Nur dass er sich beim Reden beständig auf das Pult stützt, könnte andeuten, dass die Regierungslast derzeit besonders groß ist.

Tillich beschwört das andere Sachsen, lobt den Bürgermeister von Heidenau für Mut, Courage und klare Haltung. „Jürgen Opitz und sein Handeln – das ist Sachsen!“ Tillich zitiert den neuen evangelischen Landesbischof von Sachsen und fordert einen „Ruck der Barmherzigkeit“. Polizei, Ärzte, Kommunalpolitiker – sie alle haben bis zum Anschlag gearbeitet. „Diese Menschen haben ein großes Herz“, ruft Tillich. Herz – da ist das Wort, das Tillichs Rede durchzieht wie eine Arznei. „Ich denke, ich spreche auch Ihnen aus dem Herzen, wenn ich Danke sage.“

„Manche Regel, kein Alkohol, kein Schweinefleisch – das kann man sogar noch tolerieren!“

„Füllen wir die Debatte über Asylpolitik mit Herz!“ Es gebe hasserfüllte Menschen, aber so viel mehr Bürger, die helfen. Beim DRK, beim THW, bei den Vereinen. „Liebe ehrenamtliche Helfer, Sie alle machen unser Land zu einem Sachsen mit Herz“, ruft er ein letztes Mal.

Tillich wird heute nichts mehr sagen, jedenfalls nicht öffentlich. Fortan hockt er meist, den Kopf auf eine Hand gestützt, auf der Regierungsbank. Manchmal scheint es, als würde er dämmern.

Doch bald wird es laut. Denn auch ein Christdemokrat schüttet sein Herz aus. „Die muslimische Religion ist eine Religion, die hier in Sachsen keine Heimat hat.“ Nonchalant und mit sanfter Stimme spuckt Frank Kupfer, der CDU-Fraktionsvorsitzende, seine Giftigkeiten aus. Beim Zustrom von Muslimen sei Vorsicht geboten, ihre religiöse Prägung sei ein Problem, warnt Kupfer. „Manche Regel, kein Alkohol, kein Schweinefleisch – „das kann man sogar noch tolerieren, ist ja gesund!“

Manchem verschlägt es bei dieser gönnerhaft vorgetragenen Verachtung den Atem. Aber, fährt der 53-jährige Kupfer fort, es gebe ja auch Zwangsheirat und Gewalt in den Familien.

Augenblicklich erwacht die AfD-Fraktion aus ihrer Lethargie. Hatte sie bisher wie versteinert dagesessen, hatte sie die ganze Veranstaltung als „überflüssig“ gegeißelt, bricht ihn ihrem parlamentarischem Tortenstück ganz rechts heftiger Beifall aus. Dabei hat Kupfer eigentlich nur das wiederholt, was sein Ministerpräsident schon Anfang des Jahres vorgegeben hat: Der Islam gehöre nicht zu Sachsen.

Kupfer bedient mit seinen Tiraden Pegida und die AfD, Tillich hingegen hat auf Willkommen umgeschaltet und findet damit Wohlwollen bei Linken und Grünen. Vielleicht ist es Arbeitsteilung, vielleicht Dissens. Einmal an diesem Tag wirkt die CDU geschlossen.

Stanislaw Tillich (CDU) Fotos: Matthias Hiekel/dpa

Innenminister Markus Ulbig, bis vor sechs Jahren Oberbürgermeister von Pirna und für seinen damaligen Einsatz gegen rechts von vielen gelobt, steht am Pult. Er war wegen seiner Zögerlichkeit in Heidenau unter erheblichen Druck geraten. Nun redet Ulbig entschlossen, verliert sich aber bald in Zahlen, redet von baulichen Standards, findet immer neue Details, er spricht von Kompetenz, von Manpower, will Flüchtlingseinrichtungen „ans Netz bringen“, bittet sofort um Nachsicht für diesen Begriff, denn es wird doch klar, dass hier ein Technokrat spricht, der die Kommunikation beschwört, ihr aber, wie auch sein Innenministerium, nicht gewachsen ist.

„Ich sage es in aller Deutlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus haben in Sachsen nichts verloren!“ Dabei soll im Takt der Silben die Handkante entschlossen aufs Pult sausen. Doch was Entschlossenheit zeigen soll, macht seine Kraftlosigkeit öffentlich. Und man hat auch nicht den Eindruck, dass die CDU-Fraktion Erbarmen hat, dass da jemand zuhört. Dass überhaupt jemand zuhört. Zum Schluss gibt es leises Klatschen.

Es ist der Ministerpräsident, der aus seiner Denkerpose erwacht, demonstrativ applaudiert und kurz über Ulbigs Arm streicht. Sicher, später wird noch ein CDU-Abgeordneter beschwören, dass die Fraktion geschlossen hinter Ulbig stehe. „Und ihn auch unterstützt“, fühlt er sich bemüßigt zu erläutern.

Es ist Frauke Petry, die zuverlässig wie stets die Apokalypse beschwört. Wenn man achtlos funktionierende Grenzanlagen demontiere, müsse man sich über eine „Völkerwanderung“ nicht wundern, sagt sie. „Völkerwanderung“ ist ihr Kampfbegriff. Sie redet angriffslustig, wie eine, die glaubt, dass die AfD ihre Zukunft noch vor sich hat. Zumindest für Sachsen liegt sie damit wohl nicht falsch.

Innenminister Markus Ulbig (CDU)

Sie redet, als stünden die Steppenvölker schon vor dem barocken Dresden. Und an den SPD-Fraktionschef Panter gewandt: „Bitte werfen Sie nicht Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten mit der Völkerwanderung zusammen, die wir heute erleben.“

Das ist hörbar auch nach dem Geschmack manches CDU-Abgeordneten. Petry redet schnell, konzentriert, Aussetzer gibt es bei ihr nicht. Strenges blaues Kostüm, ein Outfit wie Merkel, nur schmaler. „Wir müssen Schengen aussetzen“, fordert sie, schlägt schnippisch ihr blaues Notizbüchlein zu, nimmt noch einen Schluck Wasser und geht zu ihrem Platz zurück.

Laut ist es geworden. Uwe Wurlitzer, Ex-CDUler und AfD-Abgeordneter aus Leipzig, sitzt mit breitem Rücken in der zweiten Reihe und hat sich immer wieder umgedreht, um seine Leute anzufeuern. Bald gibt es wieder Wortgefechte zwischen CDU und Linkspartei. Und zwischendurch versinkt die AfD wieder in Erstarrung.

Und die Regierungspartei SPD? Wie isoliert sitzen die Sozialdemokraten da. Auf der einen Seite die Linkspartei mit 27 Abgeordneten. Auf der anderen Seite der mächtige Koali­tionspartner CDU mit 59 Sitzen, dazwischen allerdings als spitzer Keil die 14 Sitze von Bündnis 90/Grüne. Das führt dazu, dass sich die Sozialdemokraten nicht zu den Koalitionären hinüberbeugen können. Aber wollen sie das? Je mehr CDU-Redner am Pult stehen, desto größer ist die Distanz. Die 18 SPD-Abgeordneten hocken da mit eingezogenen Köpfen.

AfD-Bossin Frauke Petry

Die Ausführungen ihrer Integrationsministerin gehen unter, ihr Fraktionschef redet, entsprechend der Fraktionsstärke, erst spät und kürzer als die Kollegen von CDU und Linke. Und bei der CDU scheinen viele vergessen zu haben, dass man mit der SPD regiert, so giftig ist manche Bemerkung. Einmal ruft Martin Dulig, SPD-Landeschef und Wirtschaftsminister, von der Regierungsbank erregt zur CDU-Fraktion hinüber.

Nur zwei wirken entrückt – Stanislaw Tillich und Frauke Petry. Petry scheint nicht übermäßig an ihren Hinterbänklern interessiert zu sein. Die AfD-Frontfrau macht sich Notizen und schaut zwischendurch durch die Glasfassade in die Ferne, als wäre sie schon in anderen, höheren Sphären.

Über vier Stunden dauert die Sitzung. Ein Ehepaar hat auf der eher dünn besetzten Besuchertribüne aufmerksam zugehört. Wie ihnen die Debatte gefallen hat? „Man klatscht immer nur bei seiner Fraktion“, kritisiert der Mann. „Es gibt kein Miteinander.“ Die Grünen klatschen nicht bei der AfD und die Linken nicht bei der CDU. „Wir sind ja AfD“, schaltet sich seine Ehefrau ein. Sie vermisse bei den Asylsuchenden eine Bringschuld. In Südafrika habe ihr Mann als Arzt gearbeitet. „Wir haben uns auch angepasst.“ Er nickt. „Wir kennen uns mit Schwarzen gut aus“, sagt sie und er beginnt über die Unmöglichkeit zu dozieren, dass sich Schwarze und Muslime hier integrieren könnten. Die Muslime hätten durch ihre Religion sehr strenge Prinzipien und die Schwarzen seien an das Leben in Stammesgesellschaften gewohnt. Fehle dies, „vergammelten“ sie und „prügelten“ sich. Seine Frau nickt sehr besorgt. Während ihr Mann redet, knipst jemand im Plenarsaal das Licht aus.

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Nach dem Hassexzess in Heidenau muss der Landtag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Beobachtungen aus Dresden

Rein oder raus
: Wem wir heute Asyl geben

Rein: Die Menschenrechtsorganisationen „No Fences in Europe“ und „El Camino de Balkan“ und ihr Bolzenschneider. Während an der EU-Außengrenze kräftig aufgerüstet wird, wissen die Aktivisten aus Ungarn und Serbien: „Wenn wir die Flüchtlinge wie Tiere behandeln, dann sind in Wirklichkeit wir die Tiere.“ Als Teil ihres Engagements für Migranten schnitten sie am Mittwoch den Grenzzaun zwischen beiden Ländern symbolisch durch. Nicht nur weil für die Beschädigung des Grenzzaunes in Ungarn bis zu fünf Jahre Haft drohen, qualifizieren sich die Fluchthelfer mit ihrem außerordentlich pragmatischen Ansatz dringend für Asyl.

Raus: Jan Fleischhauer. Der Kalauerkolumnist ergänzt seine übliche Warnung vor linker Tagträumerei um die vor einer „Flüchtlingseuphorie“. Und F. hat recht, träumen tun wir tatsächlich, nämlich davon, ihn endlich gegen syrische Flüchtlinge eintauschen zu können.