Lärm, Dreck und das Ende der Gastfreundschaft
: Touris und andere Fremde

Zu Hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Anders als im rekrudeszenten Deutschland – Buhrufe, Bombendrohungen, Brandanschläge – sind auf der Iberischen Halbinsel bereits Anzeichen der Postmoderne Europas erkennbar. Städte wie Lissabon oder Barcelona, Regionen wie die Algarve oder die Costa Brava wurden in den vergangenen zwei Monaten saisonbedingt von Millionen Deutschen und anderen Nord­europäern auf der Flucht vor dem Alltag heimgesucht.

Das stört zwar inzwischen hier und da einige Einheimische, die nicht mehr so spontan lächeln, wenn sie einem Touristen begegnen, und auch die Zeitungen berichten vereinzelt über die Unzufriedenheit mit den Horden von Besuchern aus dem Norden: der Lärm der lauten Zweitakter-Taxen in den Gassen, die Gläser und Flaschen auf den Bürgersteigen, die Folgen der Toilettengänge an den Hauswänden.

Aber kein Südeuropäer wird deswegen zum Wutbürger. Die Europäer auf der Flucht aus England, Deutschland oder den Niederlanden werden zwar meistens in geschlossen Resorts oder Hotels untergebracht. Aber die Einheimischen kommunizieren gern mit ihnen, öffnen die Türen ihrer Restaurants, Kneipen und Läden. Gastfreundschaft, ein Erbe der arabischen Hochkultur, ist ein hoher Wert. Portugal und Spanien haben nach und nach gelernt, mit dem Ansturm unzufriedener Europäer zu leben.

Die Iberische Halbinsel hat seit der Genese des Massentourismus in den 60ern erkannt, wie wichtig diese Fremden auf der Suche nach etwas Lebensglück, menschlicher und meteorologischer Wärme für die lokale Wirtschaft sind: Sie kosten kein Geld, sie bringen Geld.

Schwieriger wird die Situation für ein Land, wenn der Verkehr von Fremden keinen direkten Profit bringt, sondern kostet. Wenn die Fremden nicht kommen, um zwei Wochen Energie für ihren Alltag zu tanken, sondern weil sie nach Schutz vor Krieg oder Armut suchen.

Auf der Flucht waren zum Beispiel eine halbe Million Deutsche, die in den 30ern und 40ern nach Portugal kamen. Oder aus anderen Gründen die 500.000 Portugiesen, die in den letzten fünf Jahren wegen der Bankenkrise ihr Land verlassen mussten.

Flüchtlinge und einfache Fremde unterscheiden sich in erster Linie durch ihre finanzielle Situation: Bringen sie Geld wie konventionelle Touristen oder derzeit wohlhabende Asiaten, die sich für viel Geld „goldene EU-Visa” kaufen können (in Portugal liegt der Preis bei 500.000 Euro)? Oder kosten sie Geld? Sind sie verwertbar wie portugiesische Fabrik­arbeiter und spanische Altenpfleger in Deutschland? Oder müssen sie in Wohncontainern untätig ausharren?

Auf christliche Werte oder Gastfreundschaft konnten sich die Menschen in Deutschland selten verlassen. Als Millionen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten flohen, standen viele von ihnen in den westlichen deutschen Städten vor den verschlossenen Türen ihrer Landsleute – so beschrieben es mein deutscher Vater und meine deutsche Großmutter, die aus Pilsen und Karwin nach Westen flohen.

Wer Anti-Asyl-Fanatiker, die heute Anschläge auf Flüchtlingsheime organisieren oder dulden, „Asylkritiker” nennt, müsste konsequenterweise auch Menschen, die Kunstwerke zerstören, Kunstkritiker nennen. Als sehr braungebrannt aus dem Urlaub heimgekehrter Portugiese in Deutschland schaue auch ich ein- oder zweimal über die Schulter, wenn ich auf die Bahn warte. Gastfreundschaft und Menschlichkeit sollten nicht rentabel sein müssen. Und weil Flüchtlinge Menschen sind, können sie nicht illegal sein.