Hertha besser als Chelsea

FUSSBALL II Hertha startet mit Trainer Pál Dárdai gut in die Bundesligasaison. Doch der glückliche 2:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart offenbart auch viele Schwächen der Berliner

Diesmal war Hertha schneller. Plattenhardt klärt vor Harnik Foto: Thomas Eisenhuth/dpa

von Torsten Landsberg

Anhänger von Hertha BSC können unbeschwert sein wie seit Langem nicht: Mit sieben Punkten nach vier Spielen ist der Saisonstart gelungen, die Mannschaft belegt einen guten Tabellenplatz, hat jetzt schon sechs Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz 16. Das ist wichtig zu erwähnen, weil Hertha ebendort vergangene Saison nur dank des Torverhältnisses nicht gelandet war und viele Beobachter den Verein vor der neuen Saison wieder im Abstiegskampf verortet hatten.

Grund zur Freude lässt sich derzeit fast unbegrenzt kreieren: Hertha ist besser als der englische Meister Chelsea (4 Punkte aus 5 Spielen) und der italienische Juventus Turin (1 Punkt aus 3 Spielen). Was das hier zu suchen hat? Es gibt Wahrheiten, die beeindruckend klingen können, aber mit der Realität nur wenig zu tun haben. Die sieht nämlich so aus: Hertha BSC hat am Samstag vor 45.994 Zuschauern, darunter 1.000 Flüchtlingen, gegen den VfB Stuttgart mit sehr viel Glück 2:1 gewonnen – und offenbart, dass noch eine Menge Arbeit vor Trainer Pál Dárdai liegt. Der wollte seinem Team eigentlich neues Selbstvertrauen und einen angriffslustigen Spielstil beibringen.

Dárdai, der für gewöhnlich in ulkigen Spielanalysen auf Metaphern wie Gulasch und Männersiege zurückgreift, wusste den Sieg diesmal richtig einzuordnen. „Das war Hertha aus dem vergangenen Jahr“, mahnte er und meinte damit, dass sich seine Mannschaft von Stuttgart trotz guten Beginns und früher Führung die Butter vom Brot nehmen ließ. Nach einer halben Stunde hätte es statt 1:0 schon 1:3 stehen können, immer wieder gingen Stuttgarts Angreifer durch Herthas Abwehr wie die Zähne durch weiches Gulasch.

Das lag auch an taktischen Abstimmungsproblemen. Der als Rechtsverteidiger eingesetzte Neuzugang Mitchell Weiser ging oft mit nach vorne (und bereitete Herthas Führung durch Genki Haraguchi vor), aber keiner seiner Mitspieler fühlte sich berufen, seine Position defensiv abzusichern. Immer wieder kamen die Stuttgarter mühelos über ihre linke Angriffsseite. Hertha ließ sich zurückdrängen, statt eines geordneten Aufbauspiels droschen die Spieler den Ball nach vorne, als steckten sie immer noch im Abstiegskampf des März 2015.

Zu Hertha aus vergangenem Jahr gehört auch, dass Champions-League-Sieger und Afrikameister Salomon Kalou keine Bindung zur Mannschaft findet. Herthas System lässt seine Fähigkeiten (abgezockt im Strafraum) nicht zur Geltung kommen, offenbart aber schmerzhaft seine überwiegenden Unzulänglichkeiten: Kalou ist langsam, antrittsschwach und behauptet im Zweikampf kaum einen Ball. Seiner Leistungen scheint sich der Stürmer bewusst zu sein, er wirkt auch im Kopf blockiert, was ihn seiner einzigen Stärke (abgezockt im Strafraum) beraubt. Im nächsten Spiel gegen Wolfsburg wird ihn Neuzugang Vedad Ibisevic wohl auf die Bank verdrängen.

Traumstart für Sascha Lewandowski:Der neue Trainer des 1. FC Union hat sein Debüt gewonnen und die Köpenicker beim 3:0 (1:0) gegen den Karlsruher SC zum verdienten ersten Saisonsieg geführt. Kapitän Damir Kreilach mit einem direkt verwandelten Freistoß (12. Minute), Bobby Wood (49.) und der eingewechselte Collin Quaner (77.) erzielten am Samstag vor 14.497 Zuschauern im Wildparkstadion die Treffer für die ersatzgeschwächten Gäste. Der KSC als Fastaufsteiger der vergangenen Saison hat nach sechs Spielen in der Zweiten Fußball-Bundesliga weiterhin nur sechs Punkte auf dem Konto. (dpa)

Ach, jetzt hat der Text seinen Faden ebenso verloren wie Hertha im Spiel. Es ging ja um Grund zur Freude.

Bis zum Ausgleich der Gäste in der 36. Minute war kaum einem Fußballfan bewusst, wie frei ein Spieler im Strafraum des Gegners zum Kopfball kommen kann. Doch kurz vor dem Halbzeitpfiff erzielte Herthas Kapitän Fabian Lustenberger, der den Fehler zum Ausgleich ­verursacht hatte, das Siegtor mit einem Traumschuss aus 20 Metern. Dass ein Innenverteidiger das Spiel entscheidet, sagt ­natürlich auch etwas aus über die Gefahr, die vom Angriff ausgeht.

Aber nein, das führt jetzt wieder in die falsche Richtung.