heute in Bremen
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„Miserabel gemanagt“

VORTRAG Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel zieht Lehren aus der Eurokrise

Rudolf Hickel

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73, ist Wirtschaftswissenschaftler und emeritierter Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Bremen.

taz: Herr Hickel, warum wäre der Austritt Griechenlands aus der Eurozone so schädlich?

Rudolf Hickel: Wenn das Land wieder zur Drachme zurückkehrt, würde diese Währung massiv abwerten. Das hätte zur Folge, dass die Importe extrem teuer werden. Griechenland ist aber stark vom Import abhängig. Viele sagen jetzt, es gäbe auch einen Vorteil für den Export. Das ist aber absolut naiv, weil es in Griechenland fast keine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft gibt. Da sieht man, dass die große Mehrheit der Politikentscheider die Krise nicht verstanden hat.

Kann das dritte Hilfsprogramm etwas ändern?

Die Sparpolitik ist völlig gescheitert und das dritte Hilfsprogramm wird, wenn es nicht verändert wird, auch scheitern. Die Finanzhilfen gehen zu 90 Prozent in die Finanzierung der Schulden und die Kapitalisierung der Banken. Sie stehen nicht als frisches Geld für die Stärkung Griechenlands zur Verfügung. Und auch die Arbeitslosigkeit und Armut werden zunehmen.

Was kann die EU langfristig retten?

Manche sprechen vom Marshall-Plan – ich spreche immer vom Hercules-Plan: Wir brauchen ein Wirtschaftsaufbauprogramm. Natürlich muss auch die griechische Regierung etwas dazu beitragen. Sie muss endlich Korruption bekämpfen und Vermögende besteuern. Griechenland ist derzeit aber nicht in der Lage, sich selbst zu retten. Und deshalb müssen die anderen Länder in der Trans­ferunion aktiv werden. Schließlich ist das Euroland bereits eine Transferunion, jedoch mise­rabel gemanagt.

Kann das politisch überhaupt umgesetzt werden?

Ich unterscheide immer zwischen dem, was nötig sein sollte und dem, was durchsetzbar ist. Man sieht ja in der Flüchtlingsfrage, dass die EU politisch die Handlungsfähigkeit zu verlieren droht. Es gibt derzeit drei Linien: Erstens: „durchwursteln“ in der Hoffnung, dass es klappt – siehe Bundesregierung. Zweitens: zurück zu nationalen Währungen – die Spekulanten freuen sich bereits. Oder drittens: das Projekt EU mit allen Schwierigkeiten weiterführen. Letzteres würde sich lohnen.

Wo steht die EU in zehn Jahren?

Das ist die allerschwerste Frage. Ich kann Szenarien entwickeln, wie ich sie gerne haben möchte. Ich vermute jedoch, dass Kräfte der Renationalisierung die Integration der EU schwächen werden.

Interview: Laurin Meyer

Vortrag „Lehren aus der Eurokrise Griechenland: Von der Währungs- zur Politischen Union“, 19.30 Uhr, Hanse-Wissenschaftskolleg, Delmenhorst