Calvinistische Strenge und zarte Magie

Architektur Das Sprengel-Museum in Hannover hat einen Anbau bekommen, der bereits einen Spitznamen hat: Maschsee-Brikett. Am vorkragenden Obergeschoss stoßen sich Radler die Köpfe

Fiktionsbrecher: Die verglasten Loggien geben den Blick auf die reale Umgebung frei  Foto: dpa

Sein Spitzname existiert schon eine Weile, jetzt wurde es eröffnet: das Maschsee- oder auch Kunst-Brikett, der dritte Bauabschnitt des Sprengelmuseums in Hannover. Vom Bauzaun befreit, schiebt der 35,8 Millionen teure Bau nun seine monolithische, anthrazitfarbene Betonfassade über einen schwarzen Glassockel hinaus in den Straßenraum – in so ungeschickter Höhe allerdings, dass vorerst zwei Absperrbügel unbedachte Radfahrer und Fußgänger vor Kollisionen schützen müssen.

Der Anbau ergänzt das Haus um 1.400 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf insgesamt 7.000. Als Verbindung fungiert ein doppelgeschossiger Hybrid aus Eventfläche, Manipulationsraum und zweitem Foyer, dem Calder-Saal. In ihm soll einmal ein großes Mobile des amerikanischen Vertreters der kinetischen Kunst, Alexander Calder, hängen. Soll, denn bis die Klimastabilität im Neubau gewährleistet ist, bespielt bis Anfang 2016 erst einmal junge Kunst die neuen Räume.

Ihr Thema: „Zehn Räume, drei Loggien und ein Saal“ zitiert das öffentlichkeitswirksame Raumprogramm. Auf der Liste der teilnehmenden Künstler stehen auch die beiden Architekten des Baus, die Zürcher Marcel Meili und Markus Peter. Ihre Baukörper- und Raumschöpfung ist somit bereits in die Sphären der Kunst erhoben.

Das Sprengelmuseum basiert, wie viele Gründungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf der Schenkung eines Mäzens, in diesem Fall das lokale Schokoladenfabrikantenpaar Margrit und Bernhard Sprengel. Für ihre prominente Sammlung der klassischen Moderne eröffnete 1979 ein erster Bauabschnitt des Hauses, ganz in der Ideologie damaliger Museumsbauten: ein niederschwelliges Haus mit einem Geflecht fast wohnlicher Ausstellungsräume, das zum selbstbestimmten Rundgang animieren sollte.

Vieles ist unterirdisch angeordnet und künstlich belichtet, verborgen in der hohen gepflasterten Bastion zum Rudolf-von-Bennigsen-Ufer am Maschsee: ein hermetisches Konzept, das aus heutiger Sicht irritiert und dem Anspruch nicht-elitärer Offenheit eigentlich widerspricht. Der 1992 hinzugefügte zweite Bauabschnitt bescherte dem Haus dann eine klassische Flucht großzügiger Säle sowie eine Halle für Wechselausstellungen.

Wenngleich nun oben auf der Bastion positioniert, sind auch diese Räume im Wesentlichen künstlich belichtet. Beide Bauabschnitte prägt eine starke zeittypische Stofflichkeit in ihrem Inneren: Sichtbetonflächen, aus dem Außenraum hereingezogener Pflasterboden, sandfarbener Teppich – insgesamt eine nicht unangenehm gedämpfte Stimmung.

Der Neubau tritt nun selbstbewusst vor die Bastion. Drei schmale verglaste Loggien strukturieren das Relief seiner dunklen Fassade. Sie sind im Inneren kleine Fiktionsbrechungen im Kunstgenuss, denn sie gewähren die Orientierung an der realen Umgebung. Die zehn Ausstellungsräume, eher Kabinette als Säle, setzen voll auf die Helligkeit aktueller Tageslichttechnik. Der traditionelle Typus musealer Oberlichtsäle erlebt gerade eine Renaissance, da dank computergesteuerter Modulationselemente über und unterm Glasdach nun auch konservatorisch heiklen Ansprüchen genügt werden kann.

Diese Lichtfülle begleitet eine konzeptionelle Askese der Räume: Sie sind cleane, axialsymmetrische White Cubes auf knallhartem, leicht glänzendem Terrazzoboden. Fast so, als wolle man ihre calvinistische Strenge doch noch mit zarter Magie brechen, werden die Räume über ihre Ecken diagonal versetzt betreten und verweigern so den langen Durchblick klassischer Museums-Enfiladen.

Zudem sind die Raumfluchten leicht gegeneinander verschränkt – dem orthogonalen Betonrohbau sind dafür innere Ausbauschichten vorgesetzt – und auch die wahrnehmbaren Raumhöhen variieren. Das alles wurde in Proportions- und Bewegungsstudien ausgetüftelt. Es bleibt in der Wirkung jedoch zu schwach, um das Gefühl tanzender Räume, wie sie die Architekten beabsichtigten, zu evozieren.

„Zehn Räume, drei Loggien, ein Saal“: bis zum 10. Januar 2016 im Neubau;„Unsere Sammler, unsere Stifter“: bis zum 31. Januar 2016 im Altbau