Hammse sich angemeldet?

Die Zahlen sehen gut aus für den Hamburger Hafen. Doch schon der Versuch, hineinzukommen, gleicht dem Eindringen in einen Hochsicherheitstrakt. Was ist das für ein Gefühl, dort zu arbeiten? Eine Besichtigung

„Früher sind die Leute einfach reingegangen“, sagt Christian Lorenz und schüttelt ungläubig den Kopf

von Anne Kunze

Ruß verschmierte Schlote stoßen ihren Rauch in die kühle Herbstsonne. Schiffe dröhnen, Güterwaggons rattern. Ein Laster aus Polen rauscht über den Schrottplatz. Ein bisschen riecht es nach Meer. Bullig stehen die Petroleumtanker neben meterhoch aufgeschütteten Kohle- und Eisenerzhügeln. Kräne heben gigantische Container hoch, blaue, rostrote und weiße, ein jeder 40 Fuß lang und 28 Tonnen schwer, und balancieren sie wie Legosteine.

Hier, auf den 160 Hektar des Containerterminals Burchardkai müssen sie sein. Muskelbepackte Kerle, deren durchgeschwitzte Hemden sich über großflächig tätowierten Armen spannen. Sie werden schlechte Witze erzählen und Flüche ausstoßen, bei denen sich das Mitschreiben verbietet. Vielleicht gibt es auch den einen oder anderen schmalbrüstigen Studenten, der beim Auspacken der Conatiner hilft. Dem hauen die Hafenarbeiter dann auf die Schulter, dass er nach Luft ringt.

„Hammse sich angemeldet?“, raunzt der weißhaarige Pförtner. Sein Ton klingt, als stünde man vor dem Weißen Haus und hätte mit arabischem Akzent nach George W. Bush verlangt. Akribisch prüft er die Nummern auf den Personalausweisen. Der Fotograf hat seinen nicht dabei, Christian Lorenz muss persönlich für ihn bürgen, damit er das Terminal betreten darf. Herrn Lorenz ist sichtlich unwohl dabei. Er notiert „zumindest mal“ die Nummer auf dem Führerschein.

Christian Lorenz ist Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), dem zweitgrößten Container- und Logistikunternehmen am Hamburger Hafen. „Hier gibt es strenge Sicherheitsvorkehrungen“, erklärt er, „schließlich könnten Terroristen Waffen und Bomben in die Container schmuggeln.“

Mit argwöhnischen Blicken stellt der Pförtner die Tagesausweise aus, sie sind mit einer laufenden Nummer gekennzeichnet, und lässt uns passieren. „Hammse aber Glück gehabt“, brummt er.

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York ist das Leben in deutschen Häfen immer strenger codiert worden. Seit Juli vergangenen Jahres gilt in europäischen und allen weiteren Häfen, die mit den USA Handel treiben möchten, der „Internationale Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen“ (ISPS-Code). Auf der Homepage der HHLA ist nachzulesen, welch enorme Sicherheitsvorkehrungen der ISPS- Code rechtfertigt: Zäune wurden verstärkt, Menschen zu „hauptamtlichen Sicherheitsoffizieren“ ausgebildet und die „modernste Überwachungstechnik“ installiert. Personen, Gepäck und Fahrzeuge werden erheblich gründlicher kontrolliert, Mitarbeiter, mitunter auch Besucher, erhalten Zutritt nur durch „elektronische Identifikationskarten mit Lichtbild“. Für den Hamburger Hafen, nach Rotterdam der zweitgrößte Containerhafen in Europa, ist dieser Code überlebenswichtig, schließlich sind die USA ein wichtiger Handelspartner. Auf der Homepage der HHLA steht, das Unternehmen erfülle die neuen internationalen Sicherheitsbestimmungen „als verlässlicher Partner“.

„Früher sind die Leute, die dachten, sie haben hier was zu tun, einfach reingegangen“, sagt Christian Lorenz und schüttelt ungläubig den Kopf. „Da hat der Pförtner kurz Hallo gewunken und sie passieren lassen.“ Gehen darf ohnehin niemand – das sei zu gefährlich. Jeder Meter auf dem Terminal muss in einem firmeneigenen Fahrzeug zurückgelegt werden. Menschen sind nicht zu sehen. Sondern allenfalls zu erahnen, auf 40 Metern Höhe hinter Glasfenstern. Auf einer Stahlschiene laden und entladen sie von einer kleinen Kanzel aus die Container.

„Sittin‘ in the morning sun/ I‘ll be sittin‘ when the evening comes/ Watching the ships roll in/ Then I watch ‚em roll away again, yeah/ I‘m sittin‘ on the dock of the bay“, sang Otis Redding. Am Hamburger Hafen sind die Docks menschenleer. Die Matrosen dürfen ihr Schiff offiziell zwar verlassen, gemacht habe das aber noch niemand, sagt Christian Lorenz. „Die haben kein Geld“, vermutet er. Auch sie selbst dürften sich nicht frei auf dem Terminal bewegen, sondern müssten bei der HHLA einen Shuttle-Bus bestellen, der sie aus dem Terminal fährt. Wie das funktioniert, erklärt der überwiegend philippinischen Besatzung vermutlich auch niemand.

Unter einer Brücke ist plötzlich doch ein junger Mann zu erspähen. Er trägt einen Helm und einen gelb-blauen Arbeitsanzug, auf dem breite Reflektorstreifen laufen. Bernd Knauth, 21, ist Azubi bei der HHLA, Berufsziel: Hafenarbeiter. Pro Tag kontrolliert er im Schnitt 165 Container. Die drei Männer der Brückenaufsicht sind die Einzigen, die hier stehen dürfen, in einem mit weißen Linien genau eingezeichneten Feld. „Das merkt der Brückenfahrer ja gar nicht, wenn er dich überfährt“, erklärt Bernd. Die Brückenaufsicht müsse sich blind aufeinander verlassen können.

„Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise! / Nimm uns mit in die weite, weite Welt! / Nimm uns mit, Kapitän, in die Ferne,/ Nimm uns mit in die weite Welt hinaus“, träumte Hans Albers. Azubi Bernd träumt davon, nach seiner Ausbildung und einigen Schulungen eine Brücke zu steuern – falls es dann noch Bedarf gibt. Viele Kranfahrer, Portalstapler genannt, wurden bereits durch Maschinen ersetzt. Aus dem Autofenster ist die eigenartige Szenerie zu beobachten: Die Container fahren auf unbemannten Transportwagen bis vor den Bug des Schiffes. Kräne orten die Stahlkisten per Chip und heben sie auf das Deck oder lassen sie in den Ladeluken verschwinden.

Was in den Containern drin ist, sieht keiner: Sie dürfen nicht geöffnet werden. Manche sind von fünf Siegeln verschlossen. „Da ist man schon neugierig, was drin ist“, wundert sich Azubi Bernd Knauth. 2,6 Millionen Container gehen derzeit pro Jahr allein über das Terminal am Burchardkai.

Azubi Bernd wird es wohl nie mit etwas anderem zu tun haben als mit Containern. Noch in den 1980er Jahren war das anders, erzählt Hafenarbeiter Heiner Lieber, 55 Jahre alt. „Der Kaffee kam vor 20 Jahren lose hier an, die Früchte haben wir frisch verladen.“ Als er als junger Mann auf dem Terminal angefangen hat, gab es auch noch Studenten, die beim Abladen der Bananen geholfen haben, sagt Heiner Lieber. Jetzt gebe es nur noch Tagelöhner. Und auch die seien hoch spezialisiert.