Tausende Häuser im Nordsinai zerstört

ÄGYPTEN HRW spricht von Rechtsverstoß bei der Errichtung einer Pufferzone zum Gazastreifen

Die Stadt Rafah soll vollständig geräumt werden

KAIRO/BERLIN afp/taz | Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat Ägypten vorgeworfen, in den vergangenen zwei Jahren Tausende Häuser sowie Anbauflächen im Norden des Sinai zerstört zu haben. Die Armee habe „willkürlich“ Häuser dem Erdboden gleichgemacht und dabei ganze Viertel und Hunderte Hektar von Agrarland vernichtet, erklärte HRW am Dienstag in einem Bericht.

Um eine Pufferzone an der Grenze zum Gazastreifen einzurichten, seien etwa 3.200 Familien Opfer von Zwangsräumungen geworden. Damit habe Ägypten gegen internationales Recht verstoßen, erklärte HRW. Zudem wurden die Betroffenen gar nicht oder erst unmittelbar vor der Zerstörung ihrer Häuser in der Grenzstadt Rafah vorgewarnt. Den obdachlos gewordenen Familien sei kein adäquater Ersatz angeboten worden, auch die Entschädigung sei nicht angemessen gewesen.

Für den 84-seitigen Bericht befragte Human Rights Watch elf vertriebene Familien, Journalisten und Aktivisten. Außerdem wertete die Menschenrechtsorganisation Satellitenbilder von der Region aus, die die gesamte Grenzregion zwischen dem palästinensischen Gazastreifen und Ägypten einschließlich der Grenzstadt Rafah abdecken. So enthält der Bericht beispielsweise eine Aufnahme vom 5. Oktober 2014, die ein dicht bebautes Viertel im Zentrum von Rafah zeigt, sowie eine vom 12. August dieses Jahres, auf der dort nur noch ein Gebäude erkennbar ist.

Bereits seit Sommer 2013 ist der nördliche Sinai praktisch eine militärische Sperrzone. Freie Berichterstattung und Recherche von Menschenrechts­organisationen ist dort nicht möglich.

Die ägyptischen Pläne für die Pufferzone sehen die Räumung von 79 Quadratkilometern an der Grenze zum Gazastreifen vor, darunter die vollständige von Rafah, einer Stadt mit etwa 78.000 Einwohnern. Nach Angaben der Regierung würde mit der Pufferzone der Schmuggel von Schleusern verhindert, die Waffen und Kämpfer aus dem Gazastreifen an Extremisten in Ägypten transportieren sollen. Doch nach HRW-Recherchen konnten die Behörden dafür keine oder nur wenige Beweise liefern. Seit Juli 2013 kommt es immer wieder zu Anschlägen und zum Teil regelrechten Kämpfen zwischen Gruppen, die dem „Islamischen Staat“ nahestehen, und Polizei und Armee.

„Häuser, Wohnviertel und ganze Existenzen zu zerstören, das ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit einer Kampagne zur Aufstandsbekämpfung scheitert“, kommentierte Sarah Leah Whitson, Leiterin der Nahost- und Nordafrika-Abteilung von HRW, das Vorgehen der ägyptischen Behörden im Nordsinai. B.S.