Wenn Zwang nicht erlaubt ist

PATIENTENRECHTE Wer darf psychisch Kranke behandeln? Weil das Gesetz in Schleswig-Holstein lückenhaft ist, hat ein Amtsgericht Patienten Recht gegeben, die sich der Behandlung verweigerten

Um einen Menschen gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, müssen einige juristische Hürde überwunden werden – und im Sommer sagte das Amtsgericht Oldenburg in Schleswig-Holstein gleich viermal Nein, immer mit derselben Begründung: Die Klinik kann nicht nachweisen, dass ihr Personal „fachlich wie persönlich“ geeignet ist, um mit Zwangseingewiesenen umzugehen.

So einen Beweis fordert das neue Gesetz über Zwangseinweisung und –behandlung von psychisch Kranken, das im Mai in Schleswig-Holstein in Kraft trat. Aber das Sozial- und Gesundheitsministerium in Kiel hat bisher keine entsprechende Verordnung auf den Weg gebracht.

Und das Problem könnte noch größer werden: Möglicherweise sind nicht nur psychiatrische, sondern auch Regelkrankenhäuser betroffen – schließlich könnten psychisch Kranke auch dort gegen ihren Willen wegen körperlicher Leiden behandelt werden.

Auf taz-Anfrage redete Ministeriumssprecher Frank Strutz-Pindor das Problem klein: „Wer sich ein Bein bricht oder Magenschmerzen hat, legt doch Wert darauf, dass ihm geholfen wird.“ Die Praxis aber zeigt anderes. In Oldenburg wurde der Fall eines Psychiatrie-Patienten verhandelt, der eine lebenswichtige Operation verweigerte. Das Gericht gab ihm Recht.

Um auf die aktuellen Urteile aus Oldenburg zu reagieren, verschickte das Ministerium im Sommer einen „Entwurf von Handlungsempfehlungen für die Kommunen“. In dem Schreiben wird den Kreisen und kreisfreien Städten dringend geraten, „unverzüglich“ mit der Kontrolle zu beginnen, Start sollten die „Kernbereiche“, also geschlossene psychiatrische Stationen sein.

Dabei schlägt das Ministerium zunächst die denkbar simpelste Prüfung vor: Die fachliche Eignung hängt an „formellen Beschäftigungsvoraussetzungen“ wie einer Berufsausbildung, bei der persönlichen Eignung ist von „der grundsätzlichen Vermutung auszugehen“. Sprich: Wer bereits in einer Klinik arbeitet und nicht gerade sein Zeugnis gefälscht hat, gilt als geeignet.

Um es den Kliniken und den kommunalen Verwaltungen einfach zu machen, soll es nach dem Vorschlag des Landes ausreichen, komplette Personallisten für eine ganze Station im Sammelverfahren zu genehmigen. Eine Arbeitsgruppe soll diese Vorschläge „präzisieren“. Geschehen ist das aber laut Ministerium noch nicht.

Doch es ist unklar, ob selbst eine überarbeitete Fassung einem kritischen Richterblick standhält. Immerhin kam der entsprechende Passus im Gesetz durch einen Hinweis des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes zustande. Er fordert eine „demokratische Legitimation“ der konkreten handelnden Personen.

Schließlich geht es um keine Kleinigkeit: Zwangsbehandlung in der Psychiatrie meint unter anderem, dass ein Mensch fixiert werden oder starke Psychopharmaka erhalten kann, deren Nebenwirkungen langfristig körperliche Schäden hervorrufen können. Der Staat überträgt also sein Gewaltmonopol – und will wissen, an wen.

Der Sozialausschuss des Landtags fand die Argumente der Richterschaft plausibel: Ohne lange Debatten schloss sich die Mehrheit der strengen Vorgabe an. Nachdem das Oldenburger Amtsgericht in seinem Urteil kritisiert hatte, dass das Gesetz den Kommunen keine Frist setze, bis wann das Klinikpersonal zu überprüfen sei, kommen aus den Parteien zunehmend nachdenkliche Stimmen: „Vielleicht fehlte uns allen zusammen das juristische Fingerspitzengefühl, um die möglichen Folgen bis ganz zum Ende zu überblicken“, sagt ein Ausschussmitglied.

Esther Geißlinger