Volkspark Wattenmeer

Erfolgsgeschichte Noch Ende der 1990er-Jahre war die Nationalpark-Idee in Nordfriesland sehr umstritten. Inzwischen ist die Zustimmung groß – auch, weil viele profitieren

An der Westküste ging die Angst um, zu „Bewohnern von Reservaten“ degradiert zu werden

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Mit Widerstand bei der Bevölkerung hatte Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Rainder Steenblock ja gerechnet, als er im September 1996 einen Forschungsbericht zum Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer vorstellte. Die dringende Empfehlung der Wissenschaftler lautete, das Schutzgebiet vor der Küste Nordfrieslands und Dithmarschens zu erweitern und mehrere Zonen für Menschen zu sperren.

Dass ihm jedoch blanker Hass entgegenschlagen würde, ahnte Steenblock nicht: Am 27. November, bei einer Diskussionsveranstaltung in der Stadthalle der Kleinstadt Tönning an der Mündung der Eider in die Nordsee, erhängten und verbrannten erregte Demonstranten vor der Halle eine Strohpuppe, die dem grünen Minister nicht unähnlich sah.

Der Widerstand an der Nordsee gegen die Ausweitung des Nationalparks umfasste damals gleichermaßen Fischer und Jäger, Schäfer und Segler, Bauern und Hoteliers. Und jede Menge Honoratioren, Vereinsmeier und Lokalpolitiker, die den Volkszorn teilten oder so sehr fürchteten, dass sie ihn lieber teilten.

Denn die Menschen am platten Watt glauben seit rund 1.000 Jahren, am besten zu wissen, wie mit dem „Blanken Hans“ und den ihm abgerungenen Marschen und Kögen umzugehen sei. „Gott schuf das Meer, der Friese die Küste“, lautete das Motto für den Widerstand gegen die „rot-grüne Kieler Öko-Diktatur“.

Hendrik Brunckhorst kann sich noch – mit Grausen – daran erinnern. Doch die alten Feindschaften seien überwunden, sagt der Biologe im Nationalparkamt für das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer in Tönning: „Das Bewusstsein hier hat sich stark gewandelt“, sagt Brunckhorst. „Niemand mehr sieht das Watt als öde Schlammfläche.“ Durch die wissenschaftlichen Begleituntersuchungen sei seit Mitte der 1980er-Jahre ein „Schatz an Erfahrungen“ aufgehäuft worden. „Wir wissen jetzt sehr viel genauer Bescheid über die Rastplätze der Zugvögel oder über das Leben in den Salzwiesen“, sagt Brunckhorst.

Im Jahr 2014 haben 121.000 Menschen an etwa 5.000 Wattwanderungen teilgenommen, hat das sozio-ökonomische Monitoring des Nationalpark­amtes ermittelt. 53.000 Besucher zählte das Nationalparkhaus am Husumer Hafen, knapp 140.000 die Seehundstation in Friedrichskoog, und das Flaggschiff der Umweltbildung, das Multimar-Wattforum in Tönning, verzeichnete fast eine halbe Million Besucher – und dabei handelt es sich nicht nur um Feriengäste. Laut Monitoring waren drei Viertel aller Nordfriesen und Dithmarscher schon mal im Wattforum mit seinen Aquarien und Erlebnisangeboten.

„Kein Nationalpark in ganz Europa macht so viel Öffentlichkeitsarbeit wie wir“, sagt Brunckhorst. Und das zeitigt Ergebnisse. 88 Prozent der Küstenbewohner geben im aktuellen Monitoring an, den Nationalpark „positiv“ zu finden, 36 Prozent sind sogar „stolz“ auf ihn. Und auf die aus Wahlumfragen bekannte Sonntagsfrage antworteten 82 Prozent, sie würden „für den Nationalpark stimmen“, lediglich 1,7 würden ihn ablehnen.

Dabei ging Ende des vorigen Jahrtausends an der Westküste noch die Angst um, zu „Bewohnern von Reservaten“ degradiert zu werden, die keine wirtschaftliche Existenzgrundlage hätten. Die Kurgäste würden zugunsten von Algen oder Wattwürmern „vom Strand vertrieben“ werden, so eines der Schreckensszenarien. Die Heimat drohe „zum Sperrgebiet“ zu werden, fürchteten Kritiker, Einheimische und ihre Tätigkeiten würden „hauptsächlich als Störfaktoren begriffen“. Von den Rangern, die im Auftrag des Nationalparkamtes über das Watt wachten, würden sich auswärtige Umweltschutzgruppen „Kontrolle über unbotmäßige Friesen“ versprechen.

Doch nichts davon ist eingetreten. „Niemand leidet wirtschaftlich unter dem Nationalpark“, sagt Kirsten Boley-Fleet, Entwicklungsplanerin im Nationalpark. Nicht die Bauern, nicht die Schäfer, und die Fischer ebenfalls nicht, wenngleich einige nicht mehr auf Schollenfang gehen, sondern lieber Touristen zu Seehundbänken schippern – Strukturwandel halt.

Im Nationalpark-Monitoring geben 32 Prozent der Befragten an, dass der wachsende Tourismus der größte Vorteil des Nationalparks sei: Eine nachvollziehbare Einschätzung bei jährlich rund 1,7 Millionen Urlaubern, 16 Millionen Übernachtungen, weiteren vier Millionen Tagesgästen und 9.000 Arbeitsplätzen.

Und wären die Schweinswale nicht so scheu, sondern ebenso neugierig und verspielt wie ihre großen Vettern, die Delfine, dann wäre das Wattenmeer jetzt vermutlich das Zentrum des Whalewatching in Nordeuropa. Man kann eben nicht alles haben. „Aber dafür“, sagt Brunckhorst, „kann man hier auf dem Meeresgrund spazieren gehen“.