Ein kleines Wunder

Legenden Der Reihe „Jazz in Leer“ gelingt es dank Organisator Wilfried Berghaus, regelmäßig große Namen nach Ostfriesland zu bringen

Seit 1992 gibt es ein kleines Wunder im äußersten Nordwesten der Republik: Die Reihe „Jazz in Leer – live im Speicher“. Während der deutsche Nordwesten in Sachen Avantgarde-Jazz sonst schwächelt, seit die Großen der Szene nur noch auf handverlesenen Festivals spielen, gibt es hier regelmäßig Legenden zu sehen. Den Anfang machte seinerzeit John Tchicai, der einst mit John Coltrane mit dem Album „Ascension“ auf Himmelfahrt ging. Seither spielten Evan Parker, Alexander von Schlippenbach, Ken Vandermark, Lee Konitz, das Ganelin Trio und viele mehr.

Dass sie kommen, ist vor allem Wilfried Berghaus zu verdanken, hauptberuflich Jugendpfleger der Stadt. Schon vor 1992 organisierte er Jazz-Konzerte in Leer. Aus Bremen, Wilhelmshaven und Osnabrück kommen Besucher, aber auch aus Hamburg, Groningen und Dortmund.

Für seine kontinuierliche Arbeit überreichte Kulturstaatsminister Bernd Neumann Berg­haus vor zwei Jahren den Spielstättenprogrammpreis des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Denn Berghaus bucht außergewöhnlich spannende Programme, auch in der neuen Spielzeit. Im September eröffnete das Pablo Held Trio die Saison, an diesem Sonntag ist der Chicagoer Saxofonist und Klarinettist Ken Vandermark, der schon beinahe zum Inventar gehört, mit seiner neuen Formation Shelter zu Gast.

Bis in den Winter geht es weiter mit einer Neil-Young-Hommage der „Glorreichen Sieben“ – ein Quartett um den finnischen Querkopf Kalle Kalima, der mit Christian Lillinger wohl den Jazz-Schlagzeuger der Stunde engagiert hat. Außerdem ist mit Alfred Vogel ein zweiter Schlagzeuger dabei und Bassist Flo Götte.

Anfang November ist mit Charles Gayle noch eine legendenumwitterte Gestalt der Free-Jazz-Szene zu Gast: Gayle entwickelte sich in den 1960er-Jahren zu einem der kompromisslosesten Saxofonisten New Yorks. Das Publikum aber wusste seine Musik kaum zu schätzen: Gayle spielte meist an irgendeiner Straßenecke auf, 15 Jahre lang war er obdachlos.

Erst in den 1980er-Jahren wendete sich das Schicksal, der Kontrabassist Peter Kowald organisierte Gayle Konzerte in den USA und Europa. Anfang der 1990er dann wurde er „über Nacht zum Bannerträger der neu boomenden Free-Jazz-Szene und tourte fortan rund um die Welt“, wie Jazz-Journalist Wolf Kampmann notierte.Andreas Schnell

„Shelter“: So, 27. 9., 20 Uhr, Speicher Wilhelminengang, Leer

Internet: www.vhs-leer.de/jazz/