Anheizer und Entgrenzer

AFD In Thüringen startete die „Herbstoffensive“ der Partei erfolgreich. Landtagsfaktionschef Björn Höcke verwischt die Grenzen nach weit rechts

ERFURT taz | Die Arme nach oben gereckt, den Blick über die Menge streifend, lässt er den starken Applaus zu seiner Begrüßung langsam abklingen. Auf dem Lautsprecherwagen mit Redepult, an dem eine Deutschlandfahne befestigt ist, steht er im dunklen Anzug, holt Luft und beginnt: „Liebe Freunde, ich sehe nicht 1.000, 2.000, ich sehe nicht 3.000 Mitbürger – ich sehe 5.000 Mitbürger“, um sogleich zu skandieren: „Wir sind das Volk!“ und „Merkel muss weg!“. Erfurt am vergangenen Mittwochabend: Björn ­Höcke, der Landtagsfraktionsvorsitzende der AfD, heizt die Stimmung an.

In der thüringischen Landeshauptstadt hatte die AfD zur Demonstration gegen „Politikversagen“ und „Asylchaos“ aufgerufen. Bundesweit startete die Partei ihre „Herbstoffensive 2015“. Frische Plakate und Broschüren mit altbekannten Positionen gegen Asyl, Euro und Einwanderung. Die AfD möchte, wie die ganze rechte Szene, die Ängste nutzen. Dass sie eine „Unwillkommenskultur“ von Anpöbelungen über Angriffen bis Anschlägen befeuert, hindert sie wenig. In Erfurt gelang die bisher größte Aktion der „Herbstoffensive“. Im Anschluss griffen aufgehetzte Rechte alternative Jugendliche an.

Nicht Parteivorsitzende Frauke Petry bringt die vermeintlich bloß besorgten Bürger und angebliche Asylkritiker auf die Straße. Höcke ist es, der Oberstudienrat, der unter anhaltenden Applaus erklärte: „Erfurt ist schön deutsch und Erfurt soll schön deutsch bleiben“, der „reine, ehrliche, bescheidene Vaterlandsliebe“ gelobte und fragte: „Wollen wir eine multikulturelle Gesellschaft sein?“, um ein lautstarkes „Nein!“ heraufzubeschwören.

In das „Nein“ der Menge stimmten auch bekennende Rechtsextreme und rechte Hooligans ein. Die „Identitäre Bewegung“ und das Holocaust-Leugner-Netzwerk „Europäische Aktion“ ließen ihre Fahnen wehen. Für den Landesverband um Höcke, der meint, dass nicht „jedes einzelne NPD-Mitglied als extremistisch“ einzustufen sei, ist aber nur die bürgerliche Mitte in ihren Reihen.

Seit Monaten überschreitet Höcke nicht nur rhetorisch die Grenze nach weit rechts. Gern gibt er persönlich extrem rechten Magazinen und Blogs Interviews. Am 19. September führte er bei dem neurechten Portal „Sezession“ aus: „Die freiwillige Gleichschaltung wird zum einen erklärbar, wenn man den geistigen Nährboden der Pseudoelite in den Blick nimmt: Das sind vorrangig ein zur Selbstauflösung strebender Humanitarismus und Hypermoralismus.“ Kürzer hätte der Entgrenzer der rechten Spektren den gemeinsamen Konsens des Antihumanismus kaum aufgreifen können. Auf dem Portal bietet er gleich dem Pegida-Gründer Lutz Bachmann wegen dessen Überlegung der Parteigründung ein Gespräch an: „Eine weitere Zersplitterung der an einer Zukunft Deutschlands interessierten Kräfte ist“, meint er, „unentschuldbar“. Andreas Speit