der rote faden
: Fantasien vom Untergang des demokratischen Abendlandes

nächste wocheRobert Misik Foto: Helena Wimmer

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Ambros Waibel

Rein oder raus? Das ist im privaten wie im politisch-sozialen durchaus eine Lebensfrage. Wobei das „Raus“ bei mir mit einer automatischen Einschränkungsfunktion versehen ist. „Ich bin / ein Privilegierter Mein Ekel / ist ein Privileg“, heißt es in einem Text, den in den 1980er Jahren viele als Brevier der Weltklugheit (und Weltverdrossenheit) mit sich trugen: Heiner Müllers „Hamletmaschine“.

Plan B für Europa

In die Berliner Volksbühne ging ich am vergangenen Dienstag mit einem klar-privilegierten „Raus“. Formuliert hatte es für mich nicht der Star des „Plan B für Europa“ benannten Debattenabends, Yanis Varoufakis, sondern sein Sidekick Franco Bifo Berardi: Der sympathische italienische Aktivist und Theoretiker schrieb nach dem griechischen „OXI“-Referendum im Juli und dem anschließenden bösen Erwachen: „Wir müssen eine Lektion lernen: Lassen Sie uns den Namen Europa aus unseren Köpfen und unseren Herzen streichen.“

So wie es wundervoll ist, wenn eine Liebe beginnt, so kann es auf ganz andere Art ein schöner Akt sein, eine zu lang halbherzig mit sich rumgeschleppte Affektbindung endgültig abzustreifen. Dabei spielt dann auch immer nicht nur die eigene neue Losgelöstheit eine Rolle, sondern auch die Vorhersage, wie übel es dem anderen ergehen werde, nun, wo man ohne einander auskommen muss.

Putin-Party

Dementsprechend legte Bifo Ende September in il manifesto nach. Die erste linke Lektion aus der griechischen Erfahrung sei, dass das Wort Demokratie nichts mehr bedeute. Na gut, das hatte man schon mal gehört. Dann aber schrieb Bifo: „Die Europäische Union ist dabei, sich aufzulösen in gegenseitigem Hass, verursacht durch koloniale Raubzüge. Und wir können schon heute wissen, wo Europa landen wird: rechts. Denn es ist die Rechte, die als Einzige die europäische Finanzdiktatur zum Einsturz bringen kann. Und die Konsequenzen werden brutal sein, eine soziale und menschliche Katastrophe.“ Wen Bifo damit meinte, machte er in der Volksbühne nochmal klar: Die eurasiatische „Putin-Party“ von der Bretagne bis zum Ural, von Marine Le Pen über Pegida, Söder, Orbán bis zum Antiimperialisten im Kreml.

Dieser italienischen „Raus“-Schule (EU vergessen / Politik am Ende / Verzweiflung / Rechts gewinnt) setzte nun in der Volksbühne ausgerechnet Partypolitiker Varoufakis ein stino-alt-willy-brandt-sozialdemokratisches „Rein“-Projekt entgegen: EU demokratisierend gestalten / Politik auf Anfang / Hoffnung / Links gewinnt.

Varoufakis

Und ich muss sagen: Mich bekam er damit, wie er mich auch mit seinem uneingeschränkten Lob für Merkels Flüchtlingspolitik bekam. Und zwar deswegen, weil es kein Verbrechen ist, auch mal Fantasien vom Untergang des demokratischen Abendlandes nachzuhängen, aber eben auch kein Beruf. Und weil eine Linke, die sich mit den Flüchtlingen nicht uneingeschränkt solidarisch zeigt, aufhört, links zu sein. Weil es keine Rechtfertigung gibt, wenn ein französischer Prekärer, ein italienischer Jungarbeitsloser oder ein deutscher Hartzer gegen Menschen protestiert, denen es jedenfalls schlechter geht als ihm; er möge sich an den sozialen Kämpfen gegen Regierung und Kapital beteiligen – die sind zuständig, nicht die aus welchen Gründen auch immer nach Zentraleuropa strebenden Menschen. Und in diese Richtung mögen Intellektuelle auch bitte wirken, anstatt einer kippenden Stimmung das Wort zu reden und die neoliberal ausgepresste Stammbelegschaft der Bundesrepublik ­gegen die in jeder Hinsicht minderprivilegierten Zuwanderer in Stellung zu bringen.

Hier müssen wir den Satz der Woche zitieren. Er stammt von CDU-Generalsekretär Peter Tauber: „Wir haben die größten Verschärfungen im Asylrecht seit 20 Jahren auf den Weg gebracht. Darauf sind wir als CDU stolz, und das sollte die CSU auch sein.“ Und wir ergänzen: Die SPD und die Grünen sind auch voll stolz, denn die sind ja mit im Boot, das nicht zu voll werden darf.

Fremd wie Stolz

Stolz, ein Grundrecht einzuschränken? Wie fremd ist das denn? Fremd wie Stolz auf eine Rentenreform, die zu grassierender Altersarmut geführt hat? Fremd wie Stolz auf ein Hartz-IV-Regime, bei dem sich bitchige Mitarbeiterinnen abklatschen, wenn sie es mal wieder geschafft haben, einer Alleinerziehenden die Mittel zu kürzen?

Aber läge nicht eben darin, in der Verbindung liebe Flüchtlings-Merkel / böse Sozialabbau-Merkel samt angehängter Fast-Allparteienkoalition die große neoliberale Verschwörung? Gegen die dann die Angst-Rechte die einzig kohärente Antwort lieferte, indem sie Zuwanderer und Sozialabbau angreift?

Das ist die Frage, in die Linke reinmüssen. Wenn sie sich nicht vor ihr ekeln.