TTIP

Zwischen 150.000 und 250.000 Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin gegen das Freihandelsabkommen

In den großen Fragen einig

Widerstand Ein wirklich breites Bündnis geht gegen TTIP und Ceta auf die Straße. Gegen vereinzelt mitlaufende Rechtsextreme grenzen sich die Veranstalter scharf ab

Von Gewerkschaftern bis zu Umweltfreaks: TeilnehmerInnen der Großdemonstration gegen TTIP unde Ceta in Berlin am Samstag Foto: Theo Heimann

Aus Berlin Malte Kreutzfeldt

Schon die Erwartungen waren hoch: Offiziell wollten die Veranstalter der Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta mindestens 50.000 Menschen auf die Straße bringen, intern und gegenüber der Polizei hofften sie im Vorfeld auf 100.000 TeilnehmerInnen.

Gekommen sind am Ende ungefähr doppelt so viele. Genaue Zählungen sind bei Veranstaltungen dieser Größenordnung nicht möglich; die Veranstalter sprachen von 250.000 TeilnehmerInnen, die Polizei schätzte die Zahl der Menschen, die von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor standen, auf 150.000.

Damit hat Berlin am Samstag die größte Demonstration seit 2003 erlebt, als schätzungsweise eine halbe Million Menschen gegen den Irakkrieg protestierten.

Diese Mal reisten Menschen aus ganz Deutschland in fünf Sonderzügen und über 600 Bussen an. Im Hauptbahnhof herrschte am Vormittag ein solches Gedränge, dass der S-Bahn-Verkehr zeitweise eingestellt wurde; die Demo-Route war so überfüllt, dass viele auf anderen Wegen zur Abschlusskundgebung gelangen mussten.

Dass sich so viele BürgerInnen gegen den Vertrag mit dem eher sperrigen Kürzel mobilisieren lassen, liegt daran, dass Handelsabkommen viele Lebensbereiche berühren und sich daher ein ungewöhnlich breites Bündnis zusammengetan hat. Dass ein solches hinter der Veranstaltung steht, wird zwar bei fast jeder Demonstration behauptet; im Fall von TTIP und Ceta ist es aber ausnahmsweise mal wahr.

Aufgerufen hatten der Deutsche Gewerkschaftsbund und sämtliche seiner Mitgliedsgewerkschaften, daneben alle großen Umweltverbände, viele Entwicklungs- und Verbraucherorganisationen, Sozialverbände, aber auch Organisationen wie der deutsche Kulturrat. Unterstützt wurde die Demonstration zudem von Grünen und Linkspartei. „Hier demonstrieren Unternehmer zusammen mit Gewerkschaftern, Linksradikale mit CSU-Kommunalpolitikern, Milchbauern mit Veganern“, rief Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz zum Beginn der Abschlusskundgebung. „In dieser Vielfalt werden wir TTIP und Ceta besiegen.“

Alle RednerInnen äußerten deutliche Kritik an den geplanten Abkommen, weil sie die Macht von Konzernen stärken und die Demokratie aushöhlen würden. Im Detail waren jedoch durchaus Unterschiede wahrzunehmen. So sprach sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zwar klar gegen „Geheimdiplomatie“ und private Schiedsgerichte aus, lobte aber auch, dass sich die EU-Kommission bereits bewegt habe: „Ohne unseren Druck, ohne unseren Protest wäre gar nichts passiert.“ Die SPD-Politikerin Gesine Schwan erntete Buhrufe und Pfiffe für ihre Aussage, sie wolle statt für den Abbruch der TTIP-Verhandlungen für ein besseres Abkommen kämpfen.

In anderen Reden wurde klar gegen die Abkommen plädiert. „Stoppen Sie TTIP und Ceta, sonst können Sie Ihre Kulturhoheit in der Pfeife rauchen“, rief Kulturratspräsident Prof. Christian Höppner an die Adresse der Bundesländer. „Diese Abkommen haben nicht eine fairen Handel zum Ziel, sondern dienen ausschließlich kurzfristigen Gewinninteressen von Konzernen“, so BUND-Chef Hubert Weiger. Auch für Attac-Vertreter Roland Süß war klar: „Der heutige Tag zeigt: TTIP ist in Deutschland nicht durchsetzbar.“

Für große Verärgerung bei den Veranstaltern sorgte, dass CDU- und Wirtschaftsvertreter sowie konservativen Kommentatoren den Demonstrierenden im Vorfeld antiamerikanisches, nationalistisches oder sogar rechtsextremes Gedankengut unterstellt hatten. „Ich habe selten erlebt, dass ein so großes Bündnis so übel diffamiert wurde“, rief der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, mit Wut in der Stimme. Auch Campact-Chef Bautz grenzte sich klar gegen rechts ab: „Mit dem ekelhaften braunen Sumpf von Pegida haben wir rein gar nichts gemein“, sagte er.

„Ich habe selten erlebt, dass ein so großes Bündnis so übel diffamiert wurde“

Ulrich Schneider, ParitätISCHER WOHLFAHRTSVERBAND

Tatsächlich hatten auch die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung sowie die rechten Parteien AfD und NPD ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Zu sehen war davon aber nicht viel. Augenzeugen berichten von einzelnen Menschen mit AfD-Plakaten. Die NPD trat nicht öffentlich in Erscheinung, wohl aber die zur rechtsextremen Szene gehörende „Identitäre Bewegung“. Deren Mitglieder wurden aber laut Augenzeugenberichten nach kurzer Zeit aus der Demo gedrängt.

Mit einem eigenen Lautspre­cherwagen waren hingegen Vertreter der neuen Montagsdemonstrationen dabei, die wegen rechter und verschwörungstheoretischer Positionen in der Kritik stehen; die Friedensbewegung hatte die Zusammenarbeit darum eingestellt. Plakate, auf denen die USA kritisiert wurden, waren auch an vielen anderen Stellen in der Demons­tration zu sehen.

Von der Bühne kamen hingegen andere Töne. „TTIP zu kritisieren heißt nicht, antiamerikanisch zu sein“, sagte etwa Ben Beachy von der US-Umweltorganisation Sierra Club. Auch DGB-Chef Hoffmann betonte die enge Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Gewerkschaften bei der Kritik an TTIP.

Trotz einzelner Differenzen zogen die Veranstalter am Ende dann auch ein begeistertes Fazit der Demonstration. Der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen sei unübersehbar geworden, erklärten sie: „Heute ist ein großer Tag für die Demokratie.“Meinung + Diskussion