Formschwankungen durch Formaldehyd : Wenn das Amt krank macht

Die Luft im neuen Jobcenter in Bremen-Nord ist mit Schadstoffen belastet. Eröffnet wird es heute trotzdem – dank strenger Auflagen.

Tote, hier Papst Johannes Paul II, halten sich durch Formaldehydeinsatz länger - im Gegensatz zu Lebenden. Foto: Claudio Onorati (dpa)

Heute wird es feierlich eröffnet, das neue Jobcenter in Bremen-Nord, und alle werden sie kommen, bis hin zum SPD-Arbeitssenator Martin Günthner. Einen „Hausschlüssel“ werden sie überreichen und sicher viele lobende Worte finden – vorher aber noch mal ordentlich lüften: Damit der „stechende und unangenehme Geruch“ nicht so auffällt, vom dem jene berichten, die darin arbeiten sollen.

Das Gebäude ist „nachgewiesenermaßen umweltbelastet“, schrieb der Betriebsarzt des Jobcenters im September in einer Mail, die der taz zusammen mit anderen Unterlagen vorliegt. Deswegen sei es „zwingend erforderlich“, dass das Gebäude in der Hermann-Fortmann-Straße, nahe der Grohner Dühne, „bis auf Weiteres nicht als Betriebsstätte verwendet wird“. Mehrere MitarbeiterInnen haben gesundheitliche Beschwerden und sich krank gemeldet. Die Symptome, so der Mediziner, lassen ihn an das Sick-Building-Syndrom denken. An die Geschäftsführung des Jobcenters wurden seitens der Beschäftigten keine Beschwerden herangetragen, sagt der Sprecher.

Experten zufolge leiden in Industrieländern bis zu 30 Prozent der Büroangestellten unter der Krankheit, die sich vor allem in Kopfschmerzen, Schwindel, Augen- und Schleimhautreizungen sowie Konzentrationsschwächen zeigt. Ausgelöst wird sie durch Lösungsmittel oder Feinstaub, der etwa aus Laser­druckern kommt. Forschungen belegen, dass Schädigungen der Lunge und Veränderungen des Erbguts nicht auszuschließen sind.

Das Problem, so schrieb der Betriebsarzt: Ein „eindeutiger Zusammenhang“ zwischen den Symptomen und dem konkreten Gebäude sei nicht nachweisbar: „Das macht es juristisch so schwierig.“ Ein Versuch des Personalrates, dem Umzug zu stoppen, scheiterte vor Gericht – aus formalen Gründen.

Gebaut hat den neuen Bürokomplex die Weser Wohnbau. Ihr Geschäftsführer Matthias Zimmermann sieht „keinerlei Mängel“ und auch „keine Veranlassung zur Nachbesserung“, sagte er der taz. Von dem Problem habe er erst aus der Presse erfahren. Und überhaupt: Der Bauherr habe damit „nichts zu tun“.

Der Leiter der neuen Jobcenter-Geschäftsstelle, Volker Wöhlmann, räumt gegenüber seinen MitarbeiterInnen Probleme ein. Er sieht aber „keine Gesundheitsgefahr“, schrieb er Anfang Oktober – auch wenn es in den Fluren und den Kopierräumen „unangenehm“ rieche. Verantwortlich dafür seien die Fußbodenbeläge, die aus Nadelfilz und Linoleum bestehen, wobei Linoleum ein „reines Naturprodukt“ sei. Es besteht zwar vor allem aus Leinöl, kann aber Farb- und Kunststoffe enthalten; zudem stellt sich die Frage, welcher Kleber verwandt wurde.

Eine „Verbesserung der Situation“, schreibt Wöhlmann, „kann nur durch ausreichendes Lüften erreicht werden.“ Jedoch könnten die betroffenen Räume „nur schwierig ausreichend gelüftet werden“. Ende des Jahres sollen neue Messungen stattfinden. Der Sprecher des Jobcenters sagt: „Es stimmt eindeutig nicht, dass das Gebäude ‚nachgewiesenermaßen umweltbelastet‘ ist.“

Der Technische Arbeitsschutz Bremens hat im September erklärt, einem Umzug in den Neubau stehe nichts im Wege, Grenzwertüberschreitungen lägen nicht vor, die Konzentration der Gefahrstoffe für Neubauten „absolut üblich“. Laut einer der taz vorliegenden Analyse des Umweltinstituts TTZ sind einzelne Räume und der Eingangsbereich hingegen wegen ihrer Belastung mit flüchtigen organischen Stoffen als „hygienisch auffällig“ einzustufen, auch krebserregendes Formaldehyd wurde gefunden. Die Belastung der Luft wurden laut TTZ vermutlich durch Farben oder Kleber verursacht.

Die Unfallkasse des Bundes hat den Bezug des Neubaus laut der Gewerkschaft Ver.di nur mit Auflagen genehmigt. Dazu gehören „strenges Lüften“ und intensives Heizen der Räume auf 30 Grad. Die Heizung gibt das aber gar nicht her, sagt Ver.di, der Arbeitsschutz schreibt nur 20 Grad vor. Zudem habe die Unfallkasse eine schnelle „Gefährdungsbeurteilung“ angemahnt – die laut Ver.di schon früher hätte gemacht werden müssen.

Die Geschäftsführung freue sich mit den MitarbeiterInnen, dass das neue Gebäude heute eröffnet werde, sagt der Sprecher des Jobcenters.

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