Berliner Szenen
: Altes Westberlin

Lange her

Wolfgang Neuss? Schon tot. Günter Pfitzmann? Auch schon tot

Das alte Westberlin lebt! Und ist zu Hause, wo es schon am immer zu Hause war, rund um den Kurfürstendamm. Zwar wird es auch genau dort grade zu Grabe getragen in der Revue „Westberlin“ von Rainald Grebe in der Schau­bühne. Da muss der Liebhaber der Currywurst, der als Kind diesem Geschmack verfiel und später eigene Buden besaß, in den Sarg steigen. Es kommt auch mal jemand aus dem Sarg heraus, das ist Harry Hass, Ikone des Westberliner Undergrounds aus den 80er Jahren. Sehr fragil sieht er aus und liest doch mit kräftiger Stimme. Ich erschrecke, als ich später seine Daten google. Der Mann ist ein Jahr jünger als ich!

Zwischendurch kommen die Schauspieler auf der Bühne zusammen und überlegen, wen sie noch einladen können von den populären Größen von damals. Wolfgang Neuss? Schon tot. Günter Pfitzmann aus der „Praxis Bülowbogen“? Auch schon tot. Anita Kupsch, Arzthelferin an seiner Seite? Auch schon … nee, nee, rufen sie, die lebt noch.

Und wie. Am nächsten Abend sitzt sie nämlich in der Reihe vor mir, Premiere im Renaissance-Theater von „Entartete Kunst“. Frau Kupsch wirft ihre Ringellocken und grüßt durch den Raum. Viel altes Westberlin ist da, in der ersten Reihe sitzt der ehemalige Regierende Walter Momper. Weitere Schauspieler winken. Haben die nicht zusammen mit Udo Samel, der heute auf der Bühne steht, mal an der Schaubühne gespielt? Doch, doch.

Für mich ist das Renais­sance-Theater eh ein nostalgischer Ort. Anfang der 80er nach Berlin gekommen, habe ich hier tagelang Kaffee gekocht für die Schauspieler, als Hospitantin bei Proben zu „Kasimir und Karoline“. Ich glaube, ich habe mit all den Künstlern kein einziges Wort gewechselt, viel zu schüchtern. Aber Pfitzmann spielte mit, und einmal durfte ich anstelle einer kranken Schauspielerin 15 Minuten auf der Bühne stehen.

Katrin Bettina Müller