Präsidentengipfel mit schriller Begleitmusik

Ab Freitag treffen sich in Argentinien die Staatschefs Latein- und Nordamerikas. Gegengipfeltreffen beginnt heute

PORTO ALEGRE/BUENOS AIRES taz ■ So richtig wird George W. Bush auch im tiefen Süden nicht ausspannen können. „Es ist unschön, das zu sagen, aber ein geschwächter Bush ist nicht nur gut für Argentinien, sondern für die ganze Region“, vertraute ein argentinischer Diplomat jüngst der Tageszeitung Clarín an. Im Badeort Mar del Plata beginnt heute der 3. „Gipfel der amerikanischen Völker“, am Freitag folgt der 4. Gipfel aller Staatsoberhäupter des Kontinents ohne Fidel Castro. Kubas Mitgliedschaft in der Organisation Amerikanischer Staaten ruht seit 1962.

Doch selbst der greise Revolutionär durfte gestern Abend Flagge zeigen – in Diego Maradonas eigener TV-Show. Der bekennende Che- und Castro-Fan hatte sich einen „Traum erfüllt“ und den kubanischen Staatschef in Havanna interviewt.

Mar del Plata ist zweigeteilt. Eine Sperrzone im Zentrum wird weiträumig von 7.500 Uniformierten abgeriegelt. Wer es sich leisten kann, macht Urlaub außerhalb. In den Armenvierteln laufen die Vorbereitungen für die Proteste auf Hochtouren. „Bush verkörpert für uns all das, was wir nicht wollen: Neoliberalismus, Verschuldung, Militarisierung und Armut“, sagt Juan González, einer der Organisatoren des „Völkergipfels“. Um diese Themen ranken sich die 140 Workshops, Foren und Konferenzen der Kontinentalen Sozialallianz, einem Zusammenschluss von Gewerkschaften, NGOs, Menschenrechtsgruppen und sozialen Bewegungen. Erwartet werden mindestens 15.000 TeilnehmerInnen, Höhepunkt sollen mehrere Demonstrationen am Freitag werden. Die Stunde der brasilianischen Aktivisten schlägt am Sonntag, wenn Bush in Brasília erwartet wird. Dann wollen sie mit „Kreativität und Humor“ agieren, sagt Studentensprecher Wadson Ribeiro. „Wir sind gegen die US-Basen in Südamerika und gegen den Irakkrieg.“

Die Szene in Argentinien ist dreigeteilt: Die meisten setzen auf den Gegengipfel, einige treffen sich mit Regierungsvertretern. Der militante Flügel der argentinischen Arbeitslosengruppen lehnt beides ab: „Für uns gibt es nichts zu verhandeln, wir gehen nach Mar del Plata und machen alles platt“, sagt ein Antiimperialist aus Buenos Aires.

Die Geschichte beider Gipfeltreffen ist eng mit der von Washington gewünschten Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (Alca) verknüpft, die 2005 gebildet werden sollte. Doch seitdem in Argentinien und Brasilien die linksliberalen Regierungen von Néstor Kirchner und Luiz Inácio Lula da Silva am Ruder sind, läuft nichts mehr. Die letzte Verhandlungsrunde fand im Februar 2004 statt, die USA setzen nun auf bilaterale und regionale Verträge.

„Wir wissen, was Liberalisierung bedeutet“, sagt Juan González, „hier wurde sie auch ohne Freihandelsabkommen durchgesetzt.“ In der Neunzigerjahren war Argentinien das neoliberale Versuchslabor. Dramatisch war der Ausverkauf öffentlicher Unternehmen: Heute besitzt der Staat fast nichts mehr, und die Industrie ist durch jahrelange Billigimporte eingebrochen. Ein großer Teil der Mittelschicht ist in die Armut abgerutscht.

Auf Anregung der Gastgeber steht der Präsidentengipfel unter dem Motto „Arbeit schaffen, um die Armut zu bekämpfen und die demokratische Regierbarkeit zu stärken“. Nirgendwo ist der Reichtum so ungleich verteilt wie in Lateinamerika. Nach UN-Angaben leben 222 Millionen Menschen in Armut, 40 Prozent der Bevölkerung.

Dass Präsidentengipfel daran nichts zu verändern mochten, moniert Venezuelas Staatschef Hugo Chávez bei jeder Gelegenheit. Der in Argentinien äußerst populäre Bush-Antipode, der die Freihandelszone als Einziger der 34 Regierungschefs rundweg ablehnt, wird am Freitag auch auf dem „Völkergipfel“ auftreten. „Das wird interessant“, freute sich Chávez vorgestern. Das „hegemoniale“ US-Modell werde in Mar del Plata mit seinem „bolivianischen“ Modell konfrontiert, das die Einheit Lateinamerikas zum Ziel habe.

GERHARD DILGER, JÜRGEN VOGT