Stumme Stimme

Was sie mal konnte, können jetzt die Blogs: Die „Village Voice“, alternde Ikone des alternativen Journalismus in den USA, ist aufgekauft worden

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

„Die Village Voice – liest die eigentlich noch irgendwer?“ So oder so ähnlich ist es von den notorisch Coolen von New York zu hören, wenn man sie auf die downtown publizierte Ikone des alternativen Journalismus in Amerika anspricht. Für die vorhersehbare Anti-Bush-Polemik des vor 50 Jahren von Schriftsteller Norman Mailer mitbegründeten Wochenblattes, für die hochtrabenden kulturkritischen Rezensionen und Kolumnen und für die beharrliche Anklage von Rassismus und Korruption hat man im New York des 21. Jahrhunderts nur noch wenig Geduld. Die 60er- und 70er-Jahre sind endgültig vorbei.

Abgewandert ins Netz

So kämpft die Voice schon seit einiger Zeit ums Überleben. Seit 1996 wird die Zeitung in Manhattan kostenlos verteilt – wer sie in Kneipen und Buchläden seither eigentlich noch aufsammelt, weiß niemand so genau. 2000 ging die alternde Voice in einem Konglomerat von fünf alternativen Stadtzeitungen auf, jetzt wurde dieses Konglomerat von einem noch größeren Medienkonzern geschluckt. Die New Times Media, der 17 alternative Wochenblätter in den ganzen USA gehören, haben die „Village Voice Media“ aufgekauft und hoffen, das Blatt zu retten. Oder zumindest die Marke.

Zu der Fusion führte nicht zuletzt, dass die Voice den Verlust ihres profitablen Kleinanzeigengeschäftes an das Internet verschmerzen musste. Heute findet der New Yorker alles, was er früher in der Voice suchte – Wohnungen, Jobs, Sex – auf der kostenlosen Seite www.newyork.craigslist.org. Auch der Austausch linker politischer Ideen ist ins Netz abgewandert – die Blogs liefern den Kommentar zum Leben in Washington und zu den Ungereimtheiten in den Mainstream-Medien, auf den man früher bis Donnerstagabend warten musste, in Echtzeit. Da drängt sich freilich die Frage auf, was der neue Herausgeber mit der einstigen Stimme des linken Amerika denn überhaupt will. Bislang macht der Herausgeber der neuen Mediengruppe, Michael Lacey, jedoch vor allem klar, was er nicht will: „Was wir nicht brauchen, sind flammende politische Kommentare, in denen die Schreiber ihre Empörung zur Schau stellen. Das können die Blogs besser.“

Dazu passt es, dass es im Hause New Times verpönt ist, Wahlempfehlungen für Kandidaten oder Parteien auszusprechen. Lacey sagt sogar, dass er im Sinne der Ausgewogenheit gerne „mehr konservative Schreiber“ bei seinen Blättern sehen würde. Dazu, was statt politischer Polemik die Themen der Voice in Zukunft sein sollen, bleibt Lacey indes vage: „Wir wollen den besten Mix für New York produzieren – ein Blatt, das alle lesen wollen.“

Kommt der Kulturkrieg?

Anders als vom zukünftigen Inhalt der Voice hat Lancey aber eine genaue Vorstellung davon, wie er die Voice in seinen Konzern integrieren möchte. Neben dem Anzeigengeschäft möchte er auch die Autoren seiner Gruppe vergemeinschaften – so kann er etwa den preisgekrönten, einflussreichen Fimkritiker der Voice, John Hoberman, jetzt in allen seinen Blättern drucken. „Wir wollen die besten Journalisten des Landes und die sitzen nun einmal nicht unbedingt immer in der eigenen Stadt.“ Ob das, was Lacey da vorhat, noch den Namen „alternativer Journalismus“ verdient, ist freilich zweifelhaft. Der Konzentrationsprozess hat in den etablierten Medien der USA zu Uniformität und Zahnlosigkeit geführt. Auf dem Sektor der Stadtzeitungen wird das gewiss nicht anders sein.

Die Belegschaft der Voice hat sich unterdessen bislang zu den Umwälzungen noch nicht geäußert. Die Washington Post erwartet allerdings eine „frostige“ Reaktion, die New York Times gar einen „Kulturkrieg“ innerhalb des Blattes. Immerhin, der alternative Journalismus in den USA wird nicht kampflos untergehen.