Assad wirkt gelähmt

AUS DAMASKUS KARIM EL-GAWHARY

Auf den ersten Blick sehen die Damaszener Machtverhältnisse für den Betrachter einfach aus: Hoch über der Stadt regiert der Staatschef Baschar al-Assad in seinem Präsidentenpalast. Drunten am Fuß des Berges warten die Untertanen auf seine Entscheidungen. Doch die Wirklichkeit ist komplizierter. Denn die Entscheidungen fallen neuerdings im weit entfernten New York. Im UN-Sicherheitsrat wird heute eine Resolution diskutiert, wie man auf einen UN-Bericht des deutschen Staatsanwalts Detlev Mehlis reagieren soll, der das syrische Regime der Mittäterschaft im Mordfall des ehemaligen libanesischen Präsidenten Rafik al-Hariri bezichtigt (siehe Kasten).

Die syrische Politik erinnert derzeit an einen schreckstarren Hasen vor der gefährlich züngelnden Schlange. „Wir haben ein schwaches Regime und eine schwache Opposition. Keiner weiß, wie mit den Ergebnissen des Mehlis-Berichtes umgegangen werden soll“, beschreibt ein syrischer Journalist, der seinen Namen nicht genannt haben will, die Lage. Das Regime bestreitet weiterhin Zeugenaussagen im UN-Bericht, die dem syrischen Sicherheitsapparat vom Schwager des Präsidenten Asef Schaukat, dem Chef des Militärischen Geheimdienstes, bis hin zu Baschars Bruder Maher al-Assad, dem Chef der Präsidentengarde, die Mittäterschaft im Mordfall al-Hariri zuweisen. „Der Sicherheitsrat sollte keine Maßnahmen aufgrund von Verdachtsmomenten treffen, sondern nur wenn es konkrete Beweise gibt“, sagt die Regierungssprecherin Buthaina Schaaban gegenüber der taz. Im Mehlis-Bericht habe sie keine Beweise gefunden. Und sie erwarte auch keine solchen. „Syrien hat nichts mit dem Verbrechen zu tun. Im Gegenteil, der Mord an al-Hariri hat uns selbst geschadet“, erklärt sie.

Alte Propaganda …

Gleichzeitig signalisiert die Regierungssprecherin Kooperationsbereitschaft. Syrien werde alles unternehmen, um die Täter ausfindig zu machen, und weitere Schritte unternehmen, um den Willen zur Zusammenarbeit unter Beweis zu stellen. Am Wochenende hat die Regierung eine eigene interne Untersuchung des Falls al-Hariri angekündigt. Präsident al-Assad setzte eine Kommission unter dem Vorsitz des obersten Staatsanwalts und des obersten Anklägers der Militärgerichte ein, die mit den Mehlis-Ermittlern kooperieren soll. „Die Regierung untersucht sich selbst“, lautet der Kommentar des syrischen Journalisten dazu. Zuvor hatte Präsident al-Assad persönlich in einem Brief an die UN-Sicherheitsratsmitglieder angeboten, jeden Syrer vor Gericht zu stellen, dessen Schuld mit konkreten Beweisen untermauert ist. Doch gleichzeitig streitet auch er jegliche syrische Verwicklung ab.

Überall in Damaskus finden sich Transparente und Plakate, die in alter Propagandamanier den Mord an al-Hariri als eine amerikanisch-israelische Verschwörung darstellen. Und syrische Zeitungen sind voll von Kommentaren, die den UN-Bericht des Berliner Staatsanwalts Detlev Mehlis als politisches Werk diskreditieren.

Doch es gibt durchaus auch andere Stimmen. „Ich habe den Mehlis-Bericht sehr genau gelesen, schließlich war ich selbst einmal Untersuchungsrichter. Er ist sehr professionell und ein guter erster Schritt“, sagt der syrische Anwalt und Menschenrechtler Haissam al-Malih. Mehlis habe das Regime, das bereits unter Druck stand, noch mehr geschwächt, analysiert der 74-Jährige. Nun müsse es kooperieren. Am wichtigsten sei es, die syrischen Zeugen ausreisen lassen. „Hier in Syrien können sie nicht die Wahrheit sagen, da sie zu viel Angst haben“, meint al-Malih, der aufgrund seiner Nähe zur Muslimbruderschaft selbst einmal sieben Jahre in syrischen Gefängnissen verbracht hat. Die große Frage lautet für ihn, ob Baschar al-Assad die Leute, die seine Macht sichern, ausliefert und vor ein internationales Gericht stellen lässt. „Unser Diktator könnte sich als nicht stark genug erweisen“, glaubt er. Auch für den syrischen Dissidenten Michel Kilo steht Baschar al-Assad vor einem Dilemma: „Liefert er die Leute aus, besteht die Gefahr, dass sie alle Geheimnisse des Regimes auspacken, möglicherweise auch, dass der Befehl zur Ermordung von al-Hariri von ganz oben kam. Liefert er sie nicht aus, wird er nicht nur von den USA, sondern von der ganzen internationalen Gemeinschaft isoliert werden.“ Ohnehin, so glaubt er, wird Washington am schwächsten Punkt des Regimes angreifen, nämlich an der Person Baschars al-Assad. „Sie werden einfach nicht mehr mit ihm sprechen, genauso wie sie es mit Palästinenserchef Jassir Arafat getan haben“, prophezeit er. Eigentlich müsste das Regime sich nun innenpolitisch mit allen politischen Kräften aussöhnen, um die Gefahr von Sanktionen vom Land abzuwenden. „Aber dafür ist es wahrscheinlich zu spät“, meint Kilo. „Das Regime hat bereits jeglichen Realitätssinn verloren.“

Immerhin: Einige Reformversuche gibt es. Das Regime hat hastig versprochen, den Kurden des Landes die Staatsbürgerschaft wieder zurückzugeben, die ihnen vor vierzig Jahren entzogen worden war. Außerdem wird derzeit ein neues liberaleres Parteiengesetz diskutiert.

Ein Szenario, das in Damaskus hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird, ist die Möglichkeit einer Spaltung innerhalb des Regimes und des Sicherheitsapparats. Laut Damaszener Gerüchteküche soll der Tod des Innenministers Ghasi Kanaan, der offiziell vor zwei Wochen Selbstmord begangen hat, von dem aber viele glauben, er sei ermordet worden, in diesem Zusammenhang stehen. Kanaan sei nicht wegen irgendwelcher Verwicklungen im Hariri-Mord gestorben, sondern weil er eine Art Staatsstreich geplant und den Amerikanern heimlich seine Zusammenarbeit angeboten habe, so die Gerüchte.

… und neue Ängste

Tatsächlich glauben viele Syrer, dass Washington keinen Regimesturz wie im benachbarten Irak betreibt, aus Angst, dass dann ähnlich wie im Irak der gesamte Staatsapparat zusammenbrechen könnte. „Die Amerikaner wollen keinen Regimewechsel, sondern ein anderes Verhalten des Regimes“, meint Aiman Abdel Nour dazu, der dem Flügel der regierenden Baath-Partei angehört und für politische Reformen wirbt. Auch er beklagt die relative Inaktivität des Regimes. „Sie benutzen ihre alten Instrumente, die unter den neuen Umständen nicht mehr funktionieren: Abwarten, feilschen und dann Zugeständnisse geben“, sagt der Initiator der prominenten Internetseite All4Syria.org. Er wirkt müde und deprimiert. Nour kommt gerade von einem offiziellen abendlichen Empfang. „Man muss sich vorstellen: Es gibt ein nur fünfköpfiges Komitee, das jetzt die Strategie ausarbeiten soll, wie mit einer UN-Resolution umgegangen werden soll“, sagt er. Darin sitzen der Außenminister, zwei hohe Baath-Funktionäre und zwei Chefs der Sicherheitsapparate. Sie halten das Schicksal des Landes in ihren Händen.

Geheimdienste und der allmächtige Sicherheitsapparat gelten bei allen als verhasst. Präsident Baschar al-Assad selbst wird oft von der Kritik ausgenommen. Dass viele Syrer nach einem Regimesturz irakische Verhältnisse befürchten, nutzt das Regime, um sich als einzige Alternative zum Chaos darzustellen.

Doch die wichtigste Taktik der Regierenden in Damaskus ist es, die Syrer zu überzeugen, dass der Mehlis-Bericht sich nicht gegen das Regime, sondern gegen das ganze Land wendet. „Normalerweise stellt sich das Regime vor das Volk, jetzt versteckt es sich hinter ihm“, beschreibt Nour diesen Mechanismus. Ob er funktioniert? Für Nour hängt das davon ab, wie der endgültige Bericht aussehen wird, den Mehlis bis zum 15. Dezember vorlegen muss. „Wenn er vage bleibt und sich auf dubiose Zeugenaussagen stützt, dann werden alle Syrer ihn als Machwerk made in USA ansehen, das nicht auf das Regime, sondern auf das ganze Land abzielt“, glaubt er. Aber „wenn sich darin echte Beweise für eine syrische Verwicklung finden, dann wird das syrische Volk nicht bereit sein, die Verbrecher zu verstecken und dafür den Preis von Sanktionen zu bezahlen“.