Die große Sehnsucht nach der heilen Welt

Bei der offiziellen Einweihung der Dresdener Frauenkirche erlebte die geladene Prominenz aus Politik und Kirche ein überaus konventionelles Festprogramm. Auf originelle oder zukunftsweisende Gesten warteten die 60.000 Zaungäste vergeblich

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Der liebe Gott war wegen des Flugverbots über Dresden wohl am Erscheinen gehindert. Und eine Botschaft des Papstes, um die sich die Sächsische Zeitung bemüht hatte, war ebenfalls nicht eingetroffen. Sonst aber fehlte von den Spitzen aus Kirchen und Politik in Deutschland niemand. Einen verloren wirkender Nochkanzler und seine ebenso wenig beachtete designierte Nachfolgerin trennte das Protokoll weiträumig.

Die etwa 1.700 geladenen Gäste in der Frauenkirche erlebten einen denkbar konventionellen Weiheakt, so retrospektiv wie der Kirchenbau selbst. Das lag nicht nur daran, dass es dem wortbetonten Protestantismus an sinnlichen Zeichen und Riten mangelt. Keine originelle und damit zukunftsweisende Geste ging über herkömmliche Musik und mitgebrummten Gesang hinaus. Mehr war den Exzellenzen und Eminenzen wohl auch nicht zuzumuten. Mit vitalen und geradezu pfiffigen Improvisationen und Präludien überraschte der junge Organist Samuel Kummer.

Die zentrale Predigt von Landesbischof Jochen Bohl zeugte wie schon der Wiederaufbau der Frauenkirche selbst von der tiefen Sehnsucht nach Heilung in einer zerrissenen, als „ungewiss und fragwürdig“ empfundenen Welt. Bohl sprach gar von einer Angststarre, die über dem Land laste. „Nichts braucht unser Land in dieser verzagten Zeit so nötig wie eine Bewegung in den Köpfen, einen Wandel der Mentalitäten, eine Orientierung auf die geistige Dimension des Lebens.“

Auch Bundespräsident Horst Köhler redete in gewohnt mäßiger Weise Mut herbei: „Wer die Zukunft verloren hat, der gewinnt sie beim Anblick der Frauenkirche wieder.“ Die offiziell 60.000 Besucher, die auf den Neumarkt vor der Kirche gekommen waren, empfinden offenbar ähnlich. Für sie ist die Frauenkirche eine Insel der heilen Welt, eine moralische Stütze, eine Exklave des vom Landesbischof beschworenen Reiches Gottes.

Die evangelische Landeskirche ist auffällig bemüht, die Kirche auch tatsächlich als Kirche zu propagieren und zu nutzen. Eine Dresdner Pfarrerin meinte, die nächsten Wochen würden darüber entscheiden, was das „Soli Deo Gloria“ im Altarraum wert sei und ob die viel beschworene Friedensarbeit wirklich stattfinde.

Den katholischen Dresdner Bischof Joachim Reinelt störte das Schlagwort vom „protestantischer Petersdom“ ebenso wenig wie der Umstand, dass an diesem Tag kein Protestant von der Ökumene sprach. Gegenüber der taz äußerte Reinelt Verständnis dafür, dass die Frauenkirche ausdrücklich als evangelische Kirche wieder aufgebaut worden ist.

Nach wie vor sind die Meinungen geteilt, ob von der Frauenkirche überhaupt noch eine mahnende Wirkung gegen Krieg und Zerstörung ausgeht. Walter Köckeritz, einer der maßgebenden Architekten des Wiederaufbaus, bezeichnet frühere Konzepte einer stärkeren Ruinenbetonung als „Holzhammermethode“. Der dominierende helle Sandstein aber wird in den nächsten Jahren nachdunkeln, die wenigen dunklen Originalsteine werden kaum noch kenntlich sein.