Stadtgespräch
: China im Kaufrausch

Der diesjährige „Tag der Singles“ war der umsatzstärkste Einkaufstag der Weltgeschichte

Felix Lee aus Peking

Eine dichte Smogdecke legte sich über weite Teile Nordostchinas. Neue spek­takuläre Korruptionsfälle erschüttern das Land. Und miese Konjunkturdaten weisen darauf hin, dass China wirtschaftlich schwierige Zeiten bevorstehen. Trotzdem kannten die Chinesen in der zurückliegenden Woche nur ein Thema: den „Tag der Singles“.

„Wie viel hast du ausgegeben?“, lautet in diesen Tagen die Standardfrage. Oder: „Was war dein größtes Schnäppchen?“ Nicht wenige waren auch enttäuscht: „Die Chanel-Handtasche war nach nur wenigen Sekunden ausverkauft“, zeigt sich eine Konsumentin in der Kommentarfunktion auf der Handelsplattform T-Mall enttäuscht. Ein anderer hingegen lobt: „Ei­ne technische Meisterleistung: Trotz der Millionen Aufrufe gab es keinen Serverausfall.“

Es geht um den 11. November. Für Karnevalisten aus dem Rheinland markiert dieser Tag den Beginn der fünften Jahreszeit. Der chinesische Online­großkonzern Alibaba hatte ihn in China zum Tag der Singles erkoren. Dass an diesem Tag auf dem Kalenderblatt viermal in Folge die Ziffer „eins“ steht, brachte das Unternehmen prompt auf die Idee, ihn zum Tag der einsamen Herzen zu erklären. Und was kann über Einsamkeit hinwegtrösten? Ausgiebiges Shoppen.

2009 hatte Alibaba die vielen Unverheirateten des Landes das erste Mal mit zahlreichen Sonderangeboten auf seine diversen Onlinehandelsplattformen gelockt. Andere Handelsplattformen sprangen auf. Preisnachlässe von bis zu 70 Prozent sind seitdem jedes Jahr am 11. November üblich. Fünf Mil­lio­nen Schnäppchen soll es es in diesem Jahr gegeben haben.

Entsprechend gigantisch war der Ansturm. Das zum Unternehmen gehörende Bezahlsystem Alipay regis­trier­te am Mittwoch insgesamt 710 Millionen Zahlungsvorgänge, mitunter 86.000 pro Sekunde. Bis zum Ende des Tages brachte es Alibaba auf einen Umsatz von rund 13,3 Milliarden Euro. Der diesjährige 11. November war der umsatzstärkste Einkaufstag der Menschheitsgeschichte.

Nun gibt es in China tatsächlich jede Menge Singles. Über 143 Mil­lio­nen Chinesen gelten offiziell als alleinstehend. Sie machen 11 Prozent von Chinas Gesamtbevölkerung aus. Und das, obwohl Ehe und Familie in dem Land einen hohen Stellenwert haben. Doch vor allem Männer zwischen 30 und 40 haben es schwer, eine Partnerin fürs Leben zu finden. Die soeben abgeschaffte Einkindpolitik lässt grüßen. Ihre Einführung vor knapp 35 Jahren hat zu einem erheblichen Män­ner­über­schuss geführt. Auf 100 Frauen kommen 117 Männer.

Aber auch unter Frauen wächst die Zahl der Alleinstehenden. In den Großstädten geben immer mehr Frauen der Karriere den Vorrang vor dem Heiraten und der Familiengründung. Zudem ist die Scheidungsrate in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Vor 20 Jahren war die Beendigung einer Ehe noch fast unmöglich. Heute kommt auf vier Eheschließungen eine Scheidung.

„Danke, Jack Ma“, schreibt ein Blogger im Netz. „Du hast mir wirklich über die Einsamkeit hinweggeholfen.“ Ma ist der Gründer von Alibaba.

Doch freilich sind es längst nicht nur Singles, die an diesem Tag wie wild auf den einschlägigen Websites herumklicken und sich ihrem Konsumrausch hingeben. Auch liierte Konsumenten freuen sich über die vielen Rabatte.

Der Kaufrausch befördere jedoch den Trend zum Singledasein, kritisierte die China Daily vor zwei Jahren. Damals machte die Staatszeitung noch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der gestiegenen Scheidungsrate und dem immer stärker um sich greifenden Konsumrausch aus. Das hielt sie in diesem Jahr nicht davon ab, zum 11. November mit ganzseitigen Anzeigen von Alibaba auf den „Tag der Singles“ aufmerksam zu machen. „Shoppen macht glücklich“, hieß es in einer Reklame.