Sex, Lügen und Blutbowle

Hübsche Verkehrstote, die halbe Adams Family und Lady Di in dunkler Begleitung: Halloweenpartys sind ein schönes Ritual, bei dem viel getrunken und auch geknutscht wird. Oder mehr. Aber dafür braucht es schon Spiderman

„With great power comes great responsibility.“ – Meine vorerst letzte Begegnung mit Spiderman ereignete sich am 31. Oktober letzten Jahres, an Halloween. Es war eine dieser Halloweenpartys, auf denen der Tod einem die Tür öffnet und der hübscheste Mann sich in einen Verkehrstoten verwandelt hat.

Spinnweben hängen von der Decke in die Blutbowle. Ich bin in Begleitung eines schwulen Priesters. Auf dem Weg zur Party bin ich auf der Schönhauser Allee von einem Vampir überfallen worden und trage jetzt meine Bisswunden mit Würde. Wir ignorieren die Blutbowle und trinken Wodka mit dem männlichen Teil der Addams Family.

Mein schwuler Priester und ich sind uns einig. Wir haben es beide auf das Unfallopfer abgesehen. Der Tod öffnet einem weiteren Gast die Tür, es ist ein Freund der Addams Family. Er trägt, wie es scheint kein Kostüm. Alle Blicke richten sich auf ihn. Peinlich berührt schaut er zu Boden. „Aber er ist doch Spiderman“, sage ich. „Der läuft doch nicht die ganze Zeit mit Kostüm herum.“ Spiderman wirft mir einen dankbaren Blick zu. Ich denke daran, wie er mich kopfüber, von der Fassade hängend, im Regen küsst. „Und jetzt willst du wahrscheinlich so einen Kuss von mir“, sagt Spiderman. Ich nicke. Aus dem Augenwinkel sehe ich meinen schwulen Priester mit dem Unfallopfer knutschen. „Aber wo ist der Regen?“, frage ich. „Wir können ja in die Dusche gehen“, schlägt Spiderman vor.

Ich folge ihm ins Badezimmer. Die Badewanne ist voll mit Bierflaschen. Eine separate Dusche gibt es nicht. Geküsst werde ich auch nicht, und nach einer Minute betretenen Schweigens verlasse ich das Badezimmer. „Was sollte denn das?“, frage ich ihn. Aus Enttäuschung über den ausgebliebenen Kuss und den knutschenden Priester genehmige ich mir doch ein Glas Blutbowle. „Schau mal, Lady Di und der Tod sind zusammen“, sagt Spiderman. „Ich bin halt schüchtern“, fügt er leise hinzu. Ich schaue ihm darauf in die Augen und küsse ihn. Er küsst zurück. Unsere Zähne schlagen aneinander.

Spiderman heißt Sven und küsst ganz anständig. Auf dem Weg zu ihm nach Hause denke ich mir: „Mann, ich habe gerade Spiderman aufgerissen.“ Wir trinken noch ein bisschen Wein, und weil ich jetzt weiß, dass er schüchtern ist, knöpfe ich ihm das Hemd auf.

Als wir nackt voreinander stehen, sagt er mir, dass er sich verliebt hat. „Das ging aber schnell“, denke ich mir. „In eine Arbeitskollegin“, sagt er. „Ach so“, denke ich. Ich soll’s nicht persönlich nehmen, sagt er. Ich aber nehme es sehr persönlich. „Das hättest du ja auch sagen können, bevor wir uns ausgezogen haben“, sage ich beleidigt. Er will mir die ganze Geschichte erzählen. Aber ich will sie nicht hören und ziehe mich an.

Ich frage ihn, ob er mir mit dem Reißverschluss meines Kleides hilft. „Du bist ja von einem Vampir gebissen worden“, sagt er. Zu meiner Überraschung zieht er den Reißverschluss ganz runter und beginnt mich wieder zu entkleiden. „Da hilft nur eins“, sagt er „du musst mit Spiderman schlafen.“ Ich blicke ihn verwundert an. Er zuckt mit den Schultern und sagt: „With great power comes great responsibility.“

MAREIKE BARMEYER