„Etwas muss passieren“

Der Regisseur Dominik Graf über das filmische Ödland NRW, über unerträgliches Kino und seine Schüler an der Internationalen Filmschule Köln

INTERVIEW VONSEBASTIAN SEDLMAYR

taz: Herr Graf, Sie haben soeben den ersten Jahrgang der Internationalen Filmschule Köln verabschiedet. Sind Sie zufrieden mit den Abschlussarbeiten?

Dominik Graf: Sehr.

Gibt es etwas, was die Filme besonders auszeichnet?

Sie sind alle jenseits der momentanen Standardisierung von Film und Erzählform gemacht. Jeder Absolvent ist einen ganz eigenen, mal klassischen, mal experimentelleren Weg gegangen.

Gibt es Gemeinsamkeiten?

In zehn von 14 Filmen kommt jemand nach Hause. Das zeigt, dass die Leute aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen. Sie sind in einem Alter, in dem die Nesthockerei ein Ende hat. Das merkt man in den Filmen.

Nesthockerei? Der älteste Absolvent war doch schon 37.

Ja, aber Schüler sind Schüler. Auch mit 37 fühlt sich einer vielleicht noch als Schüler. Familie und Heimat sind das stärkste Thema – durchgängig.

Hängt das auch damit zusammen, dass es leichter ist, einen Film in der heimatlichen Infrastruktur oder in der Nähe der Filmschule zu drehen als an einem fremden Ort.

Ich war eigentlich überrascht über den Radius. Es sind Filme wie „Goldjunge“ von Stephan Schiffers im Osten entstanden, obwohl Schiffers gar nicht aus dem Osten kommt. „Winterberg“ von Anna Shirin Wahle hätte auch nicht in Thüringen gedreht werden müssen. Wir hingegen haben früher nur in nächster Nähe der Hochschule gedreht.

„Fremder Bruder“ von Robert Steudtner, ein Familiendrama über einen Mann, dessen verschollen geglaubter Bruder heimkehrt und für Unruhe sorgt, sticht allein wegen der Länge heraus. Warum ist er der einzige von 14 Filmen, der mehr als eine Stunde dauert?

Weil der Regisseur das Gefühl hatte, dass die Szenen nicht so eine ökonomisch verknappte Form brauchen, sondern die Atmosphäre bis zum Zerreißen gespannt sein muss – und zwar in jeder Szene, und nicht nur am Schluss. Darin hat er eine Maßlosigkeit, die man in den standardisierten industriellen Herstellungen heutzutage überhaupt nicht mehr sieht. Das ist ein Gegenentwurf zu diesen Dokumentarfilmen, die alle 43 Minuten dauern müssen. Das halte ich nicht mehr aus. Und sehe es mit nicht mehr an. Da kenne ich die Dramaturgie ja dann schon im Vorhinein.

Können sich Absolventen, die sich an solche Standards nicht halten, überhaupt auf dem Markt behaupten?

„Den Markt“ muss man ja auch endlich mal entmystifizieren. „Der Markt“ besteht aus vielen Leuten, die nur drauf warten, dass sich an diesem aus Amerika importierten Standard etwas ändert. Die warten auf Hochschüler, die den Vorhang aufreißen, um in einer anderen Form zu erzählen. Wir haben in Deutschland sowohl im Fernsehen wie auch im Kino nur das Standardisierte und das sich sehr radikal gerierende Kunstkino, das aber eigentlich gar nicht so radikal ist. Die beiden können ruhig getrennt bleiben. Aber es gibt eben noch andere Erzählformen, die zum Beispiel in 140 Minuten nur eine einzige Situation erzählen. Das fehlt in unserer Filmindustrie. Ob sich die Absolventen am Markt behaupten, ist mir eigentlich scheißegal. Hauptsache, sie kommen nicht so glatt geschliffen aus der Filmschule raus.

Die Eröffnungsrede von ifs-Geschäftsführerin Simone Stewens klang streckenweise nicht besonders optimistisch. Als Berufsaussicht nannte sie auch die Anbieter von Telekommunikation, die auf der Suche nach ‚content‘ sind. Machen die ifs-Abgänger bald kleine Videos für T-Mobile oder Vodafone?

Das Wort ‚content‘ hat mich dabei am meisten schockiert. Ich habe aber immer schon vorgeschlagen, dass die Absolventen Plakate aufhängen sollen: ‚Ich filme Ihre Hochzeit‘ oder ‚Wir filmen Ihren Geburtstag‘. Das kann man schon machen. Es gibt auch Liftfilme in den Aufzügen von Hochhäusern. Ich habe vor vielen Jahren ein paar meiner „Fahnder“-Filme plötzlich in der Lufthansa gesehen. Die waren neu zusammengeschnitten – auf Fluglänge. In den Apfel musst Du beißen. Ich hätte mir allerdings drei Mal überlegt, ob ich einen Film nur für die Lufthansa mache. Die hatten das der Bavaria damals eben abgekauft.

Gibt es da denn überhaupt noch urheberrechtliche Sicherheit? Oder muss man damit rechnen, dass irgendwann Schnipsel eines Filmes in anderen Kontexten auftauchen?

Es gibt schon ein Urheberrecht, das im Fernsehen noch nicht komplett ausgehebelt ist. Man müsste aber mal untersuchen, inwieweit im Schleichwerbungsskandal die Urheberrechte verletzt werden, wenn Szenen herausgeschnitten werden, nur weil gerade ein BMW oder Audi durchs Bild fährt.

Die Stadt Köln hat ein „Gründerzentrum“ für die Absolventen der Filmschulen in Köln-Mülheim eingerichtet. Was halten Sie von der Idee?

Es gab immer Leute, die mutig genug waren, Firmen zu gründen. Einige sind auch schwer auf die Schnauze gefallen, andere aber nicht. Wim Wenders war da immer einer, der ganz schnell seine eigene Firma hatte. Das ist, wenn man zurückblickt, die richtige Lösung gewesen. Man muss ja nicht wahnsinnig viel Geld in die Filme pulvern. Aber man ist dann der Rechte-Pool und hat seine zehn Prozent sicher. Es wäre auch schade, wenn sich alle nach der Schule wieder in Einzelkämpferpositionen zurückziehen würden. Da bietet ein Gründerzentrum große Chancen.

Sie sind seit einem Jahr Professor an der ifs. Welches Profil hat diese junge Filmschule?

Die ifs bindet viele Kreative aus der Region. Und das ist nötig, denn in NRW muss kreativ etwas passieren. Die ganzen Filmgeschichten haben nicht dazu geführt, dass aus NRW ein besonderer cinematografischer Input kam. Es gibt eine wirtschaftliche Kraft, es gibt RTL und den WDR. Aber es gibt keine eigene Kinolandschaft. Andererseits: Die vier oder fünf besten Kinozeitschriften Deutschlands waren in den 90er Jahren in Köln. Es gibt also ein extremes Interesse, auch am Abseitigen. Insofern ist es richtig, mit der ifs ein neues Zentrum für NRW zu bilden, wenn das schon mit der Kölner Kunsthochschule für Medien nicht gepackt worden ist, weil die guten Leute da sofort nach Berlin ziehen, wenn sie was gelandet haben. Dieses Land verdient noch etwas anderes als RTL.

Die Filmstiftung pumpt dieses Jahr 36 Millionen Euro ins Land. Versickert das alles?

Nein, aber die Kreativität kommt noch zu sehr von anderswo. Als ich in den 60ern und 70ern groß geworden bin, war die ganze Ecke von Wuppertal über Essen, Leverkusen, Köln und Mülheim ein einziges Kulturzentrum. Das liegt jetzt brach. München war immer ein Zentrum, Berlin ist eines, Hamburg auch. Nordrhein-Westfalen noch nicht. Da gibt es leider kaum Filme, die im Gedächtnis bleiben.