Stadtgespräch
: Brot und Spiele

Polens Innenminister schlägt mit der Nazikeule jede Bitte um Solidarität in der Flüchtlingsfrage nieder

Gabriele Lesser aus Warschau

Wer im Paradies lebt, greift irgendwann aus lauter Langweile nach dem Apfel, um zumindest ein bisschen Höllenzauber zu erleben. Polen ist so ein Beispiel. Der neuesten Umfrage nach geben 81 Prozent der Polen an, „glücklich“ zu sein: Einkommen und Vermögen wachsen langsam, aber stetig. Immer mehr Polen können sich einen Urlaub leisten, Armut und Arbeitslosigkeit gehen zurück, das Ausland schaut voll Bewunderung auf die energiegeladenen Polen, die ihr Land innerhalb von 25 Jahren zu einer funktionierenden Demokratie und Marktwirtschaft umbauten. Absoluter Vorreiter ist Warschau: Hier tanzt der Bär!.

Dennoch konnte die rechtsnationale Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit den Slogans „Polen liegt in Trümmern“ und „Wir schaffen das“ die Parlamentswahlen gewinnen. Auch in der bislang eher linksliberal eingestellten Hauptstadt Warschau. Und wie zu erwarten begann die Vorstellung „Brot und Spiele“ direkt nach den Wahlen. Noch sind die Zuschauer begeistert. Endlich ist im so erfolgsverwöhnten Polen wieder was los.

„Ich bin entsetzt“, empört sich hingegen Pani Basia, Kioskinhaberin im Stadtteil Alt-Mokotow, kurz nach der Vereidigung der neuen Minister: „Der Krieg ist 70 Jahre her. Wie lange wollen unsere Leute den Deutschen denn noch die Zerstörung Warschaus vorwerfen?“ Kurz zuvor hatte Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, in der Talkshow von Günther Jauch die Nachbarn zu mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage aufgefordert. Sollte Polen aber seine Drohung wahrmachen und keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, sei dies „ein Aufgeben des Solidargedankens Europas“. „Natürlich habe ich auch Angst“, sagt Pani Basia. „Wer weiß schon, ob unter den Flüchtlingen nicht doch Terroristen sind? Dennoch sollten wir die Syrer aufnehmen.“ Ein alter Mann im dunkelblauen Mantel winkt schon von Weitem: „Pani Basia, haben Sie schon gehört? Unsere neue Regierung fängt einen Zweifrontenkrieg mit Russland und Deutschland an.“ Nervös sieht er die Titelseiten der Zeitungen durch: „Was schreibt die Presse dazu?“ Pani Basia legt ihm drei Zeitungen hin: „Bitte schön, Herr Professor – hier rechtsradikal, hier rechtsnational und hier rechtsnormal.“ Und sie setzt hinzu: „Die Linke muss sich nach dem Wahldesaster erst wieder berappeln“.

Weitere Kunden wollen wissen, was genau der Innenminister am Abend zuvor im Fernsehen gesagt hat und warum sich alle so aufregen. Pani Basia steht auf, streicht sich die weißen Haare zurecht und rezitiert feier­lich-ironisch Minister Blaszczaks Kommentar zu Schulz: „Das ist ein weiteres Beispiel deutscher Arroganz.“ Schließlich sei Warschau von den Deutschen zerstört worden.

Ein junge Frau unterbricht: „Was hat das mit unserer Solidarität zu tun?“ Eine andere, etwas ältere, wirft ihr giftige Blicke zu: „Er hat doch Recht. Oder haben die Deutschen etwa nicht Warschau zerstört?“ Der Professor hält kurz inne, packt dann alle drei Zeitungen ein und murmelt im Weggehen: „Brot und Spiele. Das kann uns noch teuer zu stehen kommen.“