„Kleine Schritte zur Utopie einer friedlichen Welt“

Der Preis der Leser geht an: Helga Dieter (61) – weil sie Freizeiten für Kinder und Jugendliche aus Kriegs- und Krisengebieten organisiert

taz: Frau Dieter, herzlichen Glückwunsch zum Panter-Preis. Was sagen Sie nun?

Helga Dieter: Zuerst mal vielen Dank allen, die mitgeholfen und für uns gestimmt haben, auch der mir bisher unbekannten Unterstützerin, die unsere Initiative „Ferien vom Krieg“ und mich vorgeschlagen hat.

Sind Sie überrascht, erfreut, verblüfft?

Selbstverständlich bin ich sehr glücklich. Aber eigentlich habe ja nicht ich allein den Preis bekommen. Vielmehr ist die Arbeit des Komitees für Grundrechte und Demokratie, das es schon seit fast 25 Jahren gibt, ausgezeichnet worden. Wir sind Teil der antimilitaristischen, pazifistischen Friedensbewegung und kämpfen gemeinsam mit vielen Menschen als radikal-demokratische Bürgerorganisation gegen den Abbau der Grundrechte und für die Menschenrechte. Heute, im Jahr eins nach Hartz IV, sind viele unserer Themen höchst aktuell.

Im August haben Sie wieder an der Begegnung 80 palästinensischer und israelischer junger Menschen bei Köln teilgenommen.

Das war nur eine von elf Freizeiten, aber eine besonders schwierige, weil die TeilnehmerInnen aus Palästina in ihrer Heimatstadt vor der Teilnahme an dem Workshop in Deutschland gewarnt worden waren. Wir haben ihnen geschrieben, dass sie sich nicht selbst gefährden sollen, denn wir wollen keine Märtyrer für den Frieden. Diejenigen, die dennoch gekommen sind, standen unter großem Druck, weil der Dialog, die Tuchfühlung mit den vermeintlichen Feinden, große Spannungen auslöste. Auch während ihres Aufenthalts in Deutschland wurden in ihrer Heimatstadt zwei Jugendliche von der israelischen Armee erschossen.

Wie haben sich die Spannungen geäußert?

Die Konflikte haben sich psychisch und physisch entladen. Einige weinten stundenlang und waren nicht zu trösten, andere hatten Schüttelfrost und Fieber.

Was ist daran positiv?

Solche Begegnungen erfordern nicht nur Mut, sondern aktualisieren auch Ängste. Diese schmerzlichen Situationen sind auch eine Form der Bearbeitung. In einer anderen Gruppe war eine junge Frau aus Israel, die bei einem Selbstmordattentat schwer verletzt worden war – sie hat sichtbare Brandwunden. Sie konnte manche Äußerungen von Palästinensern nicht ertragen und lief weinend aus dem Raum. Später tanzte sie wunderschön mit einer jungen Palästinenserin. Es ist ein Dialogprozess ausgelöst worden, nicht nur verbal, sondern auch durch den Ausbruch von Gefühlen.

Welche Ergebnisse hatte der Dialog?

Am wichtigsten war, dass die Spannungen nie durch Aggressionen gegen die anderen ausgetragen wurden. Es gibt nach solchen Situationen immer symbolische Zeichen der Annäherung und Aussöhnung. Zum Beispiel ist eine palästinensische Gruppe die ganze Nacht aufgeblieben, um die israelischen Jugendlichen um fünf Uhr morgens am Bus zu verabschieden. Aufwühlende Situationen gibt es auch bei den Begegnungen der angeblichen Feinde aus Bosnien und Kosovo.

Aber es heißt doch „Ferien vom Krieg“?

Der Dialog ist in ein entspannendes Ferienprogramm eingebettet. Sport, Ausflüge und vor allem das Tanzen sind mehr als ein schöner Rahmen. Es zeigt sich, dass sie alle ganz normale junge Leute sind, die feststellen, dass sie nichts sehnlicher wünschen als ein unbelastetes Leben. „Ferien vom Krieg“ geht kleine Schritte zur Utopie einer friedlichen Welt. Sie ist aber auch ganz konkrete humanitäre Hilfe und ein Ansatz zur therapeutischen Bearbeitung der jeweiligen Lebenssituationen.

Frau Dieter, was werden Sie mit dem Preisgeld machen?

Das Panter-Geld hilft uns als Grundstock für die Planung im kommenden Jahr. Die Verträge für die Unterkünfte müssen frühzeitig gebucht werden. Für den Sommer 2005 planen wir wieder elf Freizeiten mit über 1.000 Teilnehmern. Es sollen auch wieder fast 200 junge Menschen aus dem Nahen Osten nach Deutschland kommen, und wir wollen außerdem Ferienspiele für Kinder in Palästina finanzieren. Wir bitten auch weiterhin um Unterstützung. INTERVIEW: HEIDE PLATEN