Not gegen Elend

Hartz IV Das Land zahlt Flüchtlingen und Wohnungslosen künftig höhere Mieten – doch an der Neuregelung gibt es viel Kritik

Eng und teuer: Massenflüchtlingsunterkünfte, hier im ehemaligen Flughafen Tempelhof Foto: Clemens Bilan/dpa

von Malene Gürgen
und Alke Wierth

20 Prozent mehr Miete für Menschen, die aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen, also aus Obdachlosenasylen, Frauenhäusern oder Flüchtlingsheimen. 30 Prozent gar, wenn sie bereits ein halbes Jahr erfolglos Wohnraum suchten. Die Anhebung der Mietobergrenzen, die der Senat vergangene Woche noch abgelehnt und am Dienstag nun doch beschlossen hat, soll obdachlosen LeistungsempfängerInnen helfen, auf dem schwierigen Berliner Wohnungsmarkt schneller eigenen Wohnraum zu finden.

Vor allem Flüchtlinge sollen damit unterstützt werden, aus den teuren Gemeinschaftsunterkünften auszuziehen, an die die Jobcenter bis zu 5.000 Euro monatlich für die Unterbringung einer vierköpfigen Familie bezahlen. Nach Jobcenter-Konditionen dürfte eine Wohnung für sie derzeit maximal 587 Euro bruttokalt kosten, künftig dann bis zu 763 Euro.

Seit Jahren fordern Flüchtlingsorganisationen und OppositionspolitikerInnen, Flüchtlinge vermehrt in Wohnungen statt in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen – das wird jetzt einfacher. Dennoch: Für eine gute Lösung hält die von Sozialsenator Marion Czaja (CDU) vorgeschlagene Neuregelung kaum jemand. Denn für nicht obdachlose LeistungsempfängerInnen gilt weiterhin der bisherige Richtsatz ohne Zuschlag – eine Wohnung zu finden dürfte für sie noch schwieriger werden.

Die Anhebung der Miet­obergrenzen sei zwar „ein erster Schritt, denn die Not der Betroffenen ist groß“, sagt etwa Elke Breitenbach, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Sie würden künftig eventuell leichter Wohnungen finden. „Aber alle anderen gucken in die Röhre, und den Senat interessiert das nicht“, so die Linke. Sie fordert eine Anhebung der Mietobergrenzen für alle Hartz-IV-EmpfängerInnen: „Die bisherigen reichen nicht aus, um in Berlin Wohnraum zu finden.“ Zudem schüre die Bevorzugung bestimmter Gruppen Konkurrenzdenken „etwa zwischen Flüchtlingen und anderen marginalisierten Gruppen“, fürchtet Breitenbach.

Für eine gute Lösung hält die vorgeschlagene Neuregelung kaum jemand

„Grausamer Beschluss“

Auch die mietenpolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, fordert eine grundsätzliche Überarbeitung der Ausführungsverordnung Wohnen, die die Miethöhen für Leistungsempfänger regelt. Sie werde „der Mietenentwicklung in der Stadt nicht gerecht“. Die vom Senat nun beschlossene Maßnahme „löst das Problem nicht“, so die Grüne. Kritik an der Regelung kommt auch von FlüchtlingsunterstützerInnen: Die Initiative „Neukölln hilft“ etwa veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie den Senatsbeschluss als „grausam“ bezeichnete. „Der Senat befeuert hier die viel gefürchteten Verteilungskämpfe“, schreibt die Initiative. Wenn ALG-II-EmpfängerInnen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, müssten sie nun erst eine Weile wohnungslos sein, damit der 20-Prozent-Zuschlag auch für sie gelte und sich so die Chance auf eine neue Wohnung erhöhe. Der Senat spiele so „Not gegen Elend“ aus.

Reiner Wild, Vorsitzender des Berliner Mietervereins, kommt zu einer nicht ganz so drastischen Bewertung. „Dass wohnungslose Menschen vorgezogen werden, finde ich erst mal nachvollziehbar und richtig“, sagt er. Nur löse diese Regelung das grundsätzliche Problem nicht: „Die Sätze orientieren sich an den Bestandsmieten, die bei Neuvermietungen aber weit übertroffen werden.“ Deswegen sei es für ALG-II-BezieherInnen so schwierig, eine neue Wohnung zu finden. „Dieses Problem muss der Senat endlich anpacken“, sagt Wild. „Dann können in einem nächsten Schritt Vorzugsregelungen für Wohnungslose und Geflüchtete getroffen werden.“