Watt in der Stadt

Das Naturschutzgebiet Heuckenlock lässt sich schon jetzt per Rundwanderweg entdecken. Ab Mai 2006 will zudem ein Informationszentrum über die einzigartigen Süßwassertideauen aufklären

von Christine Jähn

Der wuchtige Eremit hat einen Umfang von sieben Metern und steht nahe am Abgrund. Bei Ebbe fällt der Blick entlang der Abbruchkante steil in die Tiefe, auf eine schlammige, braune Fläche mit einem schmalen Wasserrinnsal. In wenigen Stunden wird die Flut den noch mageren Priel bis fast an das gewaltige Wurzelwerk der 400 Jahre alten Ulme anschwellen lassen.

Diese Grenzverschiebung zwischen Wasser und Land können Besucher des Tideauen-Gebiets Heuckenlock schwindelfrei von einer Brücke aus beobachten, die sich einige Meter von dem mächtigen Baum entfernt über den Priel spannt – Teil des Rundwanderwegs, der sich in gemütlichen 90 Minuten spazieren lässt. Er führt durch dichtes Schilf, bahnt den Weg durch ansonsten schier undurchdringlichen Urwald und erschließt so ein außergewöhnliches Hamburger Naturschutzgebiet.

Gestartet werden kann schon jetzt am künftigen Tideauen-Informationszentrum im Wilhelmsburger Stadtteil Moorwerder. Das Zentrum wird derzeit an der Bunthäuser Spitze eingerichtet, im ehemaligen Haus des Stackmeisters, der früher Steinbuhnen – im Niederdeutschen Stacken genannt – in der Elbe verlegte. Im Mai 2006 sollen die Umbauarbeiten abgeschlossen sein; auf den über 100 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden dann Exponate wie Landkarten, Schautafeln und getreue Nachbildungen die einzigartige Landschaft dokumentieren.

Konzipiert wurde das Infohaus vom 1983 gegründeten Naturschutzverein „Gesellschaft für ökologische Planung“ (GÖP), dessen Mitarbeiter über die Jahre zu Experten für die Süßwassertideauen der Elbe geworden sind. Neben dem Heuckenlock werden bis auf Zollenspieker auch alle anderen geschützten Tideauenflächen von der GÖP betreut: Auf etwa 70 Kilometern Flusslänge – zwischen Glückstadt und dem Sperrwerk in Geesthacht – erstrecken sich die Gebiete Neßsand, Rhee, Schweenssand und die Borghorster Elblandschaft. In diesem Abschnitt beeinflussen die Gezeiten der Nordsee den Flusswasserspiegel und führen zu einem Höhenunterschied von dreieinhalb Metern, gleichzeitig sorgt der stete Süßwasserstrom der Elbe dafür, dass das Salz der Nordsee nur bis kurz vor Glückstadt in die Flussmündung eindringen kann.

Über 700 Pflanzenarten siedeln im Heuckenlock

Die durch die wiederkehrenden Überflutungen entstehenden, europaweit einzigartigen Süßwasserwattflächen wollen GÖP-Projektleiter Torben Piel und sein Team den Hamburgern näher bringen: Schulklassen sollen eingeladen und Ausflügler angelockt werden. „Die Hamburger kennen das Moor und die Heide“, sagt Piel, „doch von den Tideauen im Stadtgebiet und ihrer beeindruckenden Landschaft wissen sie kaum etwas.“ Dabei sei das Heuckenlock mit seinen über 700 Pflanzenarten eines der vielfältigsten Naturschutzgebiete im Hamburger Raum. Hier leben unzählige Kleinstlebewesen, und hier ist die Kinderstube vieler Jungfische. In den Watt- und Flachwasserzonen finden Enten, Watt- und auch Zugvögel ein üppiges Nahrungsangebot.

Für die Betreuung der Naturschutzgebiete an der Elbe in Moorwerder ist eigentlich die Stadt zuständig. Diese beauftragte den Verein, der die Pflege der fünf Reservate hauptsächlich mit Zivildienstleistenden und Freiwilligen leistet. Der Biologe Piel koordiniert derzeit als Projektleiter den Innenausbau des Info-Zentrums und dazu – bezahlt durch aufeinander folgende Zeitverträge – seit Jahren die Arbeit in den Naturschutzgebieten.

Waschbär und Springkraut belasten den Lebensraum

Denn bei der geringen Fläche an Naturschutzgebieten mit nur gut sieben Prozent Anteil an der Gesamtfläche Hamburgs kann der Mensch die Natur dort nicht mehr sich selbst überlassen: Die überaus seltene, hell in dunkellila oder weiß in weiß karierte Schachblume zum Beispiel überlebt im Heuckenlock nur, weil Gras und Schilf auf einer festgelegten Fläche regelmäßig gemäht werden. Das indische Springkraut muss sogar mit der Handsense geschnitten werden. „Der Gartenflüchtling überwuchert sonst die heimischen Pflanzen und nimmt ihnen den Lebensraum“, so Piel, „und das selbst im dichten Urwald des Heuckenlocks.“ Probleme bereitet auch die zunehmende Waschbärpopulation. Die putzigen Pelztiere „fressen die Frösche und die Vogeleier aus den Nestern“, erläutert Piel. Und da Waschbären im Heuckenlock keine natürlichen Feinde haben, müssten sie erschossen werden. Jagdpächter Michael Schulenburg versucht allerdings seit vier Jahren vergebens, einen der Bären vor die Flinte zu bekommen.

Bedrohlicher für den Lebensraum Tideauen sind für Naturschützer Piel jedoch die stetigen Elbvertiefungen: „Damit wird das Ansteigen der Flut beschleunigt, was die Lebensbedingungen am Elbeufer beeinflusst.“ Davon ist auch die kleine, für Besucher zugängliche Sandbucht betroffen. Hier entdecken Experten noch Raritäten: Der Schierlingswasserfenchel und die Wiebelschmiele wachsen weltweit nur im Heuckenlock.