Das Biorind ist jetzt sein Steckenpferd

URGESTEIN Er brachte Raubdrucke unters Volk, gründete linke Stadtmagazine und druckte die taz. Rolf Henke verdiente mit Druckereien ein Vermögen, das er jetzt für Biolandwirtschaft einsetzt

„Ich springe nicht auf Trends auf, sondern bin selbst der Pionier, damals wie heute“: Rolf Henke auf seinem Öko-Gut in der Uckermark Foto: Ailine Liefeld

von Nina Apin

Um den taz-Drucker Rolf-Friedrich Henke rankt sich so manche Legende: Ein Radikaler soll er gewesen sein, aktiv in der linksradikalen Berliner Raubdruckerszene der 68er Zeit. Aus dem Autodidakten wurde ein erfolgreicher Unternehmer, Besitzer von Druckereien in Köln und Berlin. An letzterem Standort wird seit 1989 die taz gedruckt. Zum Jahresende schließt der Betrieb. Und Henke, inzwischen Millionär, ist zum Bauern geworden. Es heißt, er beliefere das Edelrestaurant „Grill Royal“ mit Steaks von seinem Öko-Landgut in der Uckermark. Angeblich gehen die Szene-Gastronomen bei ihm zu Hause in Charlottenburg ein und aus.

Trifft man Rolf Henke persönlich, ist man erstaunt, wie wenig Raum er einnimmt. Keine robuste Hemdsärmeligkeit, wie man sie von einem Drucker erwarten würde, keine schillernde Erscheinung. Der schlanke weißhaarige Mann mit Käppi und Wollpullover, der in der Polsterbank eines französischen Bistros in Charlottenburg fast zu verschwinden droht, strahlt etwas Fragiles aus. Henke spricht sehr leise, bedächtig. Er wägt die Worte sorgsam, setzt immer wieder neu an – doch sein Blick lässt das Gegenüber nicht los. „Ich wollte mich immer konkret engagieren, nicht nur reden“, das benennt er selbst als roten Faden in seiner Biografie.

Aufgewachsen ist Henke in einer niedersächsischen Kleinstadt. Der Vater, ein Steuerberater, wollte unbedingt, dass sein Sohn Jura studiert. Henke ging nach Berlin, „natürlich auch aus wehrdiensttaktischen Gründen“, wie er es formuliert. Schon die ersten Strafrechtsvorlesungen, „gehalten von einem Zyniker erster Güte“, ließen ihn Abstand vom weiteren Studium nehmen. Mit Berlin aber, „dieser hässlichen Stadt, in der sich jeder selbst seinen Weg bahnen musste“, freundete er sich an. Er tauchte ins Charlottenburger Studentenmilieu ein, zog in eine WG am Ku’damm. Ein Mitbewohner schleppte ihn auf die berühmte Protestdemo gegen den Schah-Besuch 1967. Henke und seine Freunde wurden von Polizisten verprügelt, während nur 100 Meter weiter Benno Ohnesorg erschossen wurde.

Diese Gewalterfahrung treibt dem heute 68-Jährigen noch nach all den Jahren Tränen der Wut in die Augen. Die Wut habe ihn politisiert, sagt er. Auf der Druckmaschine einer befreundeten Initiative druckte er das Manifest der „Bewegung 2. Juni“, seine erste Begegnung mit dem Druckerhandwerk. „Ich fand das gleich toll, mit den Händen einen politischen Beitrag leisten zu können“, sagt er. Die endlosen Debatten, wie sie in den WGs und im Sozialistischen Deutschen Studentenbund geführt wurden, waren seine Sache nicht.

In Köln, wohin er seiner Freundin folgte, schloss er sich Linkskatholiken an, arbeitete mit Obdachlosen und befreite Heimzöglinge aus staatlichen Einrichtungen. Für 300 DM kaufte er den Katholiken ihre alte Druckerpresse ab, vervielfältigte darauf Flugblätter, Manifeste, Demo-Aufrufe. Und eine selbst gegründete Kulturzeitschrift namens Anna und Bela. Ein „süßer Ansatz“ sei das mit dem Druck gewesen, sagt er heute. „So von wegen Herrschaft über die Produktionsmittel gewinnen.“ Aber das sei damals halt so gewesen. Henke, der zwischen Köln und Berlin pendelte, vertiefte sich immer mehr in die Drucktechnik, kaufte im Wedding eine moderne Rotaprint-Maschine und druckte alles, was konventionellen Verlagen zu heiß war: kritische Soziologie, Plakate für die Kommunisten, Wilhelm Reich. Mit seiner Frau gründete er einen Arbeiterverlag namens Ruhrkampf, dessen bekanntester Titel hieß „Akkord ist Mord“.

An diesem Punkt hätte aus dem Raubdrucker Henke auch ein Verleger werden können, ein Publizist. Doch er zog das dreckige Druckgewerbe vor. In Köln gründete er die erste Rotationsdruckerei. Und 1975 die linke Stadtrevue – die eine Welle von Stadtzeitungsneugründungen nach sich zog. 12, 13 waren es bald. Henke druckte sie alle. Weil die linke Zitty in Berlin niemanden fand, der sie druckte, gründete er in der geteilten Stadt 1980 Henke Pressedruck mit hochmodernen Maschinen. Die größte Unwägbarkeit seien die Grafiker der Zitty gewesen, die den Produktionsstress mit Apfelkorn wegsoffen, erzählt er, aber man sei immer tadellos erschienen. Henkes Augen leuchten, wenn er auf den Pioniergeist der frühen Berliner Jahre zu sprechen kommt.

„Da fehlt der frische Mut“

Dass der Betrieb in Hohenschönhausen nun zum Jahresende schließt, weil er sich nicht mehr lohnt, nagt sichtlich an ihm. Die Kölner Stadtrevue hatte er noch einmal mit 140.000 Euro vor der Pleite gerettet, es gibt sie bis heute. Das Geld hat Henke vor allem mit Werbung verdient, Baumarktbroschüren, Möbelhäuser. Ein Geschäft, das er mit sportlichem Ehrgeiz betrieb: Wie schnell kann eine Maschine laufen, welche Stückzahl kann man herausholen? Henke war gut und schnell, das Vermögen wuchs. Aber es noch mal in ein sterbendes Gewerbe wie den Tageszeitungsdruck stecken? „Da fehlt der frische Mut. Von mir und auch von der Belegschaft. Die haben schon so viele Neuanfänge gemacht.“

Henke ist Unternehmer. Aber doch auch Idealist geblieben. 1997 kaufte er in der Uckermark ein Rittergut von der Treuhand: Auf 3.300 Hektar bestellen landwirtschaftliche Experten in Henkes Auftrag Weiden, Wiesen und Äcker, züchten 1.500 Rinder und 200 Schweine, experimentieren mit altem Saatgut. Es gibt Gästezimmer und einen Hofladen, besonders beliebt ist die Temmener Schlackwurst. Und, ja, das Gerücht mit dem Grill Royal stimmt: Als „Temmener Queen“ landen Henkes Rinder auf den Tellern der Kulturschickeria von Mitte. Die Gastronomen, an einem windigen Tag draußen auf der morastigen Weide, seien beeindruckt gewesen von der Tierhaltung, erzählt Henke stolz.

Wenn er über seinen Bio-Betrieb spricht, wird klar, dass Henke viel unbescheidener ist, als er wirkt. Es seien weit mehr als 35 Arbeitsplätze, die er dort geschaffen habe, erklärt er. „Ich springe nicht auf Trends auf, sondern bin selbst der Pionier, damals wie heute.“

Tatsächlich hat Henke in der Uckermark den ersten Öko-Boden-Fonds aufgelegt: Anleger können in 27.000 Hektar ökologisch bewirtschaftetes Land investieren, nach zwölf Jahren können Pächter ihr Land erwerben. In der Uckermark erstreckt sich das größte zusammenhängende Bio-Ackerbau-Gebiet Europas, mit zwölf befreundeten Betrieben. Die Fonds-Idee hatte sich Henke aus Wirtschaftszeitungen abgeguckt. „Ein systemischer Erfolg“, findet er selbst. Man habe mithilfe der GLS-Bank Anlegergeld für eine gute Sache gebunden, blockiere Flächen für die konventionelle Landwirtschaft. Und sei ein Vorbild. „Sinnvolle Unternehmertätigkeit eben“, sagt Henke. Und erzählt von seiner Freude, die er beim Gespräch mit einem Vogelforscher empfand, der seit Jahren Schreiadler beobachtet.

Ob seine drei Kinder, 18, 19 und 26 Jahre alt, irgendwann sein Werk fortführen? „Aufdrücken werde ich ihnen nichts. Aber ich versuche natürlich, Spuren zu legen.“ Wie das Pioniere eben so machen.