Shitstorm für Hermanis

Theater Alvis Hermanis findet Deutschland zu flüchtlingsfreundlich

Alvis Hermanis Foto: M. Werner/CC

Ein Flüchtling ist er selbst einmal gewesen, damals, Ende der 80er Jahre, als er, der Lette Alvis Hermanis, in New York um politisches Asyl bat, weil er nicht zum sowjetischen Militärdienst wollte. Ein Arbeitsmigrant war er in den langen Jahre seiner künstlerischen Karriere oft, hat neben seinem Theater in Riga viel in Wien, Paris und Berlin inszeniert. Darum erschüttert seine Entscheidung, dem Thalia Theater in Hamburg ein Projekt abzusagen, weil er nicht Teil eines „Refugee-Welcome-Zen­trums“ sein wolle, umso mehr.

Dem Shitstorm, in den er seit einer Pressemitteilung des Thalia Theaters am Freitag geraten ist, versuchte der Regisseur mit einer Begründung seiner Absage zu begegnen, die er an das Internetportal nachtkritik.de und die NZZ schickte. Viel besser macht es die Sache nicht, dass er seine Absage als „individuelle Entscheidung“ verteidigt. Er schickt sie aus Paris, wo er zurzeit arbeitet und mit seinen Kindern wohnt, erzählt von der Paranoia und der Angst seit den Anschlägen. Auch Hamburg sieht er als eine gefährdete Stadt. Aber er bestätigt auch, dass er in der deutschen Flüchtlingspolitik eine Steigerung der Terrorismusgefahr sehe. Und er fügt hinzu: „Wir teilen den Enthusiasmus hinsichtlich offener EU-Grenzen und unkontrollierter Einwanderung nicht. Vor allem im Osten Europas verstehen wir diese Euphorie schlecht.“

Alvis Hermanis wurde vor über einem Jahrzehnt auch dafür gefeiert, dem westlichen ­Publikum einen Blick in die sowjetische Welt zu geben, wie sie schmeckt, riecht, fühlt und denkt. Manchmal wirkt seine Kunst offen und modern im Spiel mit Formen, manchmal verschnörkelt und altmodisch. Dann fühlte er sich oft auch missverstanden, sah das soziokulturelle Umfeld, aus dem seine Kunst erwächst, verkannt oder gar nicht erst wahrgenommen im Ausland. Deshalb dachte er vor zwei Jahren laut über einen Rückzug aus dem interna­tionalen Theaterbetrieb nach, in dem er sich nicht zu Hause fühlt – er wollte nur noch Oper machen. Und er fuhr Frie Leysen, Kuratorin bei den Wiener Festwochen, an den Karren, weil sie das postmigrantische und multikulturelle Theater fördere.

Man kann aus alldem eine Angst vor der Vermischung herauslesen, eine Sorge, das Eigene zu verlieren. Das kann etwas mit der Geschichte der baltischen Staaten zu tun haben, denen eigene Identität und Nationalstaatlichkeit lange vorenthalten wurde und die jetzt das endlich Erlangte hart verteidigen. Eine Rechtfertigung für seine unverantwortliche Verknüpfung von Terroristen und Migranten ist das nicht.

Katrin Bettina Müller