Intensivtäter Nach Hamburg und Bremen flüchten auch nordafrikanische Straßenkinder, mit denen die Polizei nicht fertig wird. Ist ein geschlossenes Heim die einzige Lösung? ▶Schwerpunkt SEITE 43–45
: Geht's auch ohne Schloss und Riegel?

Soll den jugendlichen Flüchtlingen nach Möglichkeit erspart bleiben: Jugendstrafanstalt für Intensivtäter  Foto: Arno Burgi/dpa

Sie sind 16, 18, 20 Jahre alt – und manchmal sogar noch jünger. Sie stehlen. Sie rauben. Sie schlagen zu. Wenn die Polizei sie erwischt und in Gewahrsam nehmen will, treten, spucken, beißen sie. Sobald sie wieder auf der Straße sind, weil sie ohne Haftgründe nicht länger als 48 Stunden festgehalten werden dürfen, machen sie dort weiter, wo sie aufgehört haben.

Sie scheinen keinen Respekt zu haben. Nicht vor der Polizei, nicht vor den Gerichten, den JustizvollzugsbeamtInnen und schon gar nicht vor SozialarbeiterInnen, die ihnen in die Spur helfen wollen. Oder vielmehr müssen. „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“, heißt es im Paragraph 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes.

Aber sie wollen die angebotene Hilfe nicht. Sie fliegen aus Wohngruppen und Heimen – wegen fortgesetzt „delinquenten Verhaltens“. Also wegen Drogen, Gewalt, Aggression. Für die Jugendhilfe „nicht erreichbar“ heißt es dann über sie.

Sie: Das waren schon viele. Manchmal erscheinen sie als Gruppe, weil Einzelne bestimmte Merkmale teilen. „Zügellos, rauflustig, sittenlos, so tritt uns die entwurzelte heimatlose Jugend heute entgegen“, schreibt die Bremer Lokalzeitung am 13. Oktober 1945 über jugendliche Kriegsrückkehrer ohne Familienanschluss. Die Überschrift des Artikels: „Flüchtlingsschicksale“.

In dieser Ausgabe ist die Rede von jungen Männern, die 70 Jahre später geflohen sind. Aus Nordafrika, vor allem aus Ägypten, Marokko, Algerien: nach Deutschland.

Ihretwegen wollen die rot-grünen Landesregierungen in Bremen und Hamburg gemeinsam wieder ein Heim schaffen, in dem Jugendliche auch gegen ihren Willen festgehalten werden können. Gebaut werden soll es auf dem Gelände des ehemaligen Bremer Gefängnisses im Blockland. „Mit einem Vorbereitungsbedarf von rund sechs bis neun Monaten“, so wurde es im März angekündigt.

Geschehen ist seitdem nichts. Oder doch. Es gab Begehungen und Gespräche. Zuletzt, so wurde vergangene Woche gemeldet, hätten sich die beiden verantwortlichen Staatsräte der Stadtstaaten Anfang Dezember getroffen. Und darüber geredet, dass sie das immer noch wollen. Das ist ein Signal an alle, die glauben, dass das Heim nie kommen wird. Weil die meisten Fachleute davon überzeugt sind, dass das Heim nicht den weggesperrten Jugendlichen nutzt. Sondern nur denen, die sie gerne von der Straße entfernen würden.

Wie groß das Risiko ist, dass Jugendliche aus einer geschlossenen Unterbringung versehrter wieder herauskommen, als sie es vorher schon waren, hat die taz nord schon mehrfach beschrieben. An dieser Stelle geht es um diejenigen, die dort vorzugsweise leben sollen. Auch wenn es offiziell heißt, das Heim sei natürlich für alle gedacht, die nirgendwo anders hinpassen, und nicht für eine bestimmte Gruppe reserviert.

Wenn der Blick auf das Individuum verloren geht, wird es gefährlich. Denn dann geraten auch alle anderen unter Verdacht

Wenn der Blick auf das Individuum verloren geht, wird es gefährlich. Dann will niemand mehr herausfinden, ob jemand vielleicht doch erreichbar ist. Sich auf eine Beziehung einlässt. Eine Bremer Sozialarbeiterin, die mit jungen Männern aus Marokko arbeitet, kann davon berichten.

Und: Bei solchen Zuschreibungen geraten auch alle anderen unter Verdacht, „Problemflüchtlinge“ zu sein. Weil sie aus Nordafrika stammen oder weil sie alleine nach Deutschland geflohen sind. Eiken Bruhn