Klimaschutz aus der Klärgrube

SCHWARZE ERDE In Bingen werden Klärschlamm und Grünschnitt zu fruchtbarer Holzkohle verarbeitet. Die kann Klimagase für Jahrhunderte im Boden binden

Ein Weinbauer in Österreich wird die Technik nun in der Praxis ausprobieren

BERLIN taz | An der Fachhochschule Bingen tüfteln Wissenschaftler daran, wie man Klärschlamm und Grünschnitt in fruchtbare Holzkohle verwandelt. Das Verfahren soll der Luft dauerhaft Kohlendioxid entziehen und in Form von Holzkohle unter die Erde bringen. Die 500-kW-Pilotanlage an der Fachhochschule Bingen neutralisiert bislang so viel klimaschädliche Gase, wie die Ölheizungen von zehn Einfamilienhäusern in die Luft blasen.

Klärschlamm gilt gemeinhin als Abfall, für dessen Entsorgung man Energie und Geld aufwenden muss. Zunächst werden Exkremente und andere Feststoffe, die sich am Boden eines Klärbeckens abgesetzt haben, getrocknet, meist mit Erdgas. Anschließend transportiert ein Laster die Masse beispielsweise zu einem Kohlekraftwerk, wo der Lieferant eine Gebühr zahlen muss, damit seine Ladung mitverbrannt wird. Sowohl Trocknung, Transport als auch Verbrennung belasten die Atmosphäre mit Kohlendioxid.

Abfall wird Kohle

In der Pyrolyseanlage von Bingen läuft es andersherum: Aus Abfallholz, Grünschnitt oder Klärschlamm wird bei 600 Grad Holzkohle gewonnen. Die Energie für die Hitze stammt aus den Rohstoffen selbst. Etwa ein Drittel des darin gebundenen Kohlendioxids wird zurück in die Atmosphäre entlassen, zwei Drittel stecken anschließend in der Holzkohle. Und die hat eine wunderbare Eigenschaft, die indianische Ureinwohner von Lateinamerika schon vor Jahrhunderten genutzt haben: Die Kohle gilt als extrem fruchtbar und ist über einen langen Zeitraum hinweg wirksam.

Terra Preta heißt die alte, fast in Vergessenheit geratene Kulturtechnik. Sie ermöglichte es den Indigenas in tropischen Regenwaldregionen, dauerhaft Felder zu bewirtschaften. Normalerweise gibt es in solchen Vegetationszonen kaum Humus, der Mineralien und Kohlenstoffe bindet: Was abstirbt, wird binnen kürzester Zeit von Bakterien und Würmern zersetzt und sofort wieder in den Lebenskreislauf von Pflanzen und Tieren aufgenommen. Wird der Dschungel gerodet, um dort Feldwirtschaft zu betreiben, ist der Boden binnen weniger Jahre ausgelaugt.

Erfolge im Amazonas

Dagegen schafften es die Bewohner in einigen Amazonasregionen über lange Zeit, Lebensmittel auch für große Siedlungen zu produzieren. Sie setzten Holzkohle ein, die durch Würmer und Bakterien kaum zu zersetzen ist und damit Mineralien und Kohlenstoffe langfristig im Boden speichert.

Genau diesen Effekt nutzen die Wissenschaftler in Bingen. Für einen breiten Einsatz von Klärschlamm gibt es zwar noch einige Probleme zu überwinden: Ausgeschlossen werden muss, dass eventuell darin steckende Medikamentenrückstände und Schwermetalle auf Äcker gelangen. Gegen die Verarbeitung von Grünschnitt und anderen landwirtschaftlichen Abfällen gibt es solche Bedenken jedoch nicht.

Ein Weinbauer in Österreich wird die Technik nun in der Praxis ausprobieren. Er will seinen Betrieb klimaneutral führen und sucht einen Ausgleich für das Kohlendioxid, das sein Dieseltrecker in die Luft bläst. Zugleich hofft er, mit Terra Preta den Boden seiner Weinberge zu verbessern.

Risiken durch Konzerne

Der Umgang mit „Terra Preta“ ist allerdings nicht unumstritten. Denn manche Konzerne und Politiker sehen darin eine Chance, Kohlendioxid in großem Stil unter die Erde zu bringen – und dank solcher „CO2-Senken“ ansonsten weitermachen zu können wie bisher. So will die Firma Carbonscape einige hundert Hektar mit schnell wachsenden Bäumen bepflanzen, um sie dann anschließend in Holzkohle zu verwandeln und als Dünger zu verwenden. Entwicklungsorganisationen sehen dabei ähnlich wie bei Biotreibstoffen eine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau. Zudem fürchten sie, dass Plantagen dank der „schwarzen Erde“ auf Böden angelegt werden könnten, die für einen solchen Zweck bisher nicht geeignet waren. Das Nachsehen hätten in diesem Fall erneut Kleinbauern, Nomaden und andere traditionelle Nutzer des Bodens. ANNETTE JENSEN