Des Krümelmonsters Zähmung

Das wilde Krümelmonster ist ein Wesen aus einer vergangenen Zeit.

Es war so scharf auf Kekse, dass es sich bisweilen nicht einmal die Mühe machte, die Schachteln aufzureißen. Es torpedierte Ernies Bemühungen, das Zählen zu lernen, indem es ihm die Kekse, die Ernie zählen wollte, vor der Nase wegfraß. Und seinen Bildungsauftrag an die Jugend erfüllte es, indem es einen Forscherkittel anlegte und wissenschaftliche Experimente (Geschmacksprobe) machte, um herauszufinden, wie Kekse schmecken („hervorragend“), inklusive Validitätsprüfung (noch mehr Kekse probieren, Ergebnis „mit absoluter Gewissheit bestätigt“).

Doch irgendwann war die Zeit der ungehemmten Völlerei vorbei. 2009 fühlten sich die Verantwortlichen des „Sesamstraßen“-Senders PBS berufen, die epidemische Fettleibigkeit der amerikanischen Jugend zu bekämpfen. Das natürliche Verhalten des blauen Monsters galt nunmehr als behandlungsbedürftige Essstörung. In der neuen, tugenddurchwirkten „Sesamstraße“ musste sich das Monster mit einem diätischen Bewährungshelfer in Gestalt eines weisen Uhus anfreunden. Wenn es Kekse essen will, stößt der Uhu das Monster auf ein Buffet mit aufgeschnittenen Papayas und singt im Duett mit einer Banane, dass zum „Zwischendurchnaschen“ Pfirsiche und Kirschen ebenso gut sind wie Schokoladenkekse.

Um den Schaden, den es in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz an der Volksgesundheit angerichtet hat, wieder gutzumachen, muss das zwangsdiätierte Krümelmonster heute Gastauftritte mit US-Landwirtschaftsminister Tom Vilsack absolvieren und mit gespielter Gier einem vorbeilaufenden Brokkoli hinterhergeifern oder mit dem Rapper Wyclef Jean alberne Reimchen über gesunde Ernährung („Nutrition is really hip, yo“) singen.

Heute ist kein Platz mehr für wilde Monster.

CHRISTIAN JAKOB, TAZ.EINS