Im Tor steht Jesus

Für die Galerie spielen: Die Ausstellung „Rundlederwelten“ im Martin-Gropius-Bau zeigt Arbeiten von über siebzig Künstlern, deren Fußballfreude vom Beckenbauer-Porträt bis zum Soccer-Altar reicht

von WIEBKE POROMBKA

Die Vorbereitungen für die Fußballweltmeisterschaft 2006 sind so gut wie erledigt. Die Stadien sind ausgebaut, die Sicherheitskräfte instruiert, die ersten Hooligans in Haft. Und während das schwäbische, amerikanisierte Bundestrainertrio zu schwächeln beginnt, kommen die Spitzenkräfte der Kunstmannschaften aus der Kabine, damit wenigstens im Museum stimmt, was Klinsmann via Satellitenschaltung aus Kalifornien den richtigen „Spirit“ nennen würde.

Zum Beispiel im Berliner Martin-Gropius-Bau. Dort versammelt die Ausstellung „Rundlederwelten“ mit einem „offiziellen Beitrag des Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung zur FIFA WM 2006“ Exponate von mehr als siebzig Künstlern, die rund um das Thema Fußball kreisen. Die Kuratorin Dorothea Strauss, die das Projekt nach dem Tod von Harald Szeemann übernommen hat, holte dafür einige bekannte Werke nach Berlin: Andy Warhols Beckenbauer-Porträt oder Markus Lüpertz' überdimensionalen „Fußball“ von 1966. Zugleich wurden sechzehn Werke extra für die „Rundlederwelten“ in Auftrag gegeben. So mischt sich auch in dieser Mannschaft die internationale Erfahrung mit junger Unbedarftheit auf zuweilen dramatische Weise.

Immerhin ist die Stimmung gut. Durch die Eingangshalle des Martin-Gropius-Baus schallen Fußballgesänge. Auf vier mal sieben Metern flackert eine riesige Projektion bewegter Fankörper, Fahnen, Rauchschwaden. Stephen Dean hat Aufnahmen aus brasilianischen Fußballstadien zu einer rhythmischen Klang- und Bildchoreografie montiert. Während die Fans also schon in voller Fahrt sind, bevor es losgeht, braucht das Spiel in der ersten Etage ein wenig, bis es in Gang kommt. Ein ums andere Mal trifft man auf die eher müden Versuche, den Fußball aufs Leben zu übertragen. Das reicht vom formelhaften Verweis auf das „Spiel des Lebens“ bis zur Verurteilung männlicher Herrschaftspraktiken. Nicht sonderlich originell ist Ingeborg Lüschers Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs. Sie lässt Spieler von Grasshoppers Zürich und FC St. Gallen in Businessanzügen gegeneinander antreten und dabei Handys und Laptops über den Rasen fliegen. Da geht selbst der wahre Kunstfan erst mal Bier und Bratwurst holen.

Dann kommt aber doch noch Schwung auf. Massimo Furlan gehört zu den Künstlern, die dem Fußball mit echter Begeisterung verbunden sind. In seiner Installation ist auf einem Bildschirm ein menschenleeres Stadion zu sehen. Auf der großen Rasenfläche läuft ein Mann allein in blau-weißem Trikot hin und her, dreht sich um sich selbst, fällt zu Boden und gestikuliert wild. Nur der Kenner weiß, dass es sich bei dieser One-Man-Show um eine Nachstellung des WM-Finales zwischen Italien und Deutschland 1982 handelt.

Geradezu mystische Weihen erhält das Kicken bei Federico Arnaud. Der aus Uruguay stammende Künstler hat dem Fußball einen Altar gebaut. Hier finden sich katholische Heiligenfiguren aus angefaulten Holzstücken aufgereiht als Tischfußballspiel wieder. Das Feld ist der Himmel, auf der Torwartstange hängt, mit ausgebreiteten Armen, ein gekreuzigter Jesus.

Dass Fußball nicht nur Kunst sein kann, sondern die Kunst auch einen Beitrag zum Fußball zu bieten hat, wird erst bei solchen Werken plausibel. Erzwingen lässt es sich nicht. Mit dem schlechten Witz, Franz Beckenbauer sei „die Mona Lisa des Fußballs“, schafft es der künstlerische Leiter des Kulturprogramms, André Heller, wohl kaum in die Champions League. Oder um es mit dem berühmten Satz des einst so begnadeten Fußballkünstlers Bruno Labbadia zu sagen: „Das ist doch alles nur künstlich hochsterilisiert.“

Den eingefleischten Fan wird es trotzdem freuen, dass es die Versatzstücke seiner großen Leidenschaft bis in eine so exklusive Umgebung geschafft haben. Vielleicht freut sich auch manch anderer über die Auflockerung der Atmosphäre, etwa in Olaf Nicolais „Camouflage/Torwand“-Installation – wann darf man im Museum schon mal ungestraft Bananenflanken schlagen? Mit Schaumstoffbällen, versteht sich. Schließlich sollen die Fenster ja ganz bleiben. Und die gute Kunst doch auch.

„Rundlederwelten“, bis 8. 1. 2006, Mi. bis Mo., 10 bis 20 Uhr, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7