ortstermin: Chefredakteurin Birgit Müller bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen
: Ohne Protokoll

Erst die Blumen, dann der Orden: Birgit Müller  Foto: Mauricio Bustamante

Von seinem Platz am Fenster kann Thomas, ein hanseatischer Typ mit Schiffermütze, silbernem Ohrring und langen blonden Koteletten, alles überblicken. Der 55-Jährige überragt viele Gäste um fast einen Kopf. Vor ihm drängeln sich Kameraleute, Tontechniker mit Puschelmikros und Fotografen. Eine Frau reicht silberne Platten mit Häppchen durch das Gedrängel im Aufenthaltsraum des Hamburger Straßenmagazins Hinz und Kunzt. Gleich geht es los: Chefredakteurin Birgit Müller bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen.

„Das ist eine große Nummer“, sagt Thomas. Müller ist schon seit 23 Jahren dabei, fast ebenso lange als Chefredakteurin. „Die ist immer beschäftigt, die Frau“, sagt Thomas. Den Moment, wenn dieses Engagement geehrt wird, wollte er auf keinen Fall verpassen. „Schließlich habe ich auch etwas dazu beigetragen“, sagt er. Seit 2001 verkauft Thomas das Magazin. „Das gehört jetzt zum Stadtbild, zu Hamburg.“

An den Tischen stehen noch mehr Männer und Frauen, die das Magazin sonst auf der Straße anbieten. Sie sind zwischen den Anzugträgern leicht an ihren Trolleys mit Zeitungen drin und den dicken Wintermützen zu erkennen. Ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht und ausgewaschenem Baseballkap drängelt sich lächelnd zu Müller durch, einen Strauß Blumen in der Hand. Die ersten Glückwünsche gibt es schon vor dem Orden. Nach Protokoll verläuft die Verleihung hier nicht.

Schon der Ort ist ungewöhnlich. Normalerweise werden in Hamburg Bundesverdienstkreuze feierlich im Rathaus verliehen. Aber Müller wollte ihre Gäste lieber in die Redaktion einladen. Der Aufenthaltsraum bietet gerade genug Platz für die vielen Menschen. „Hier ist es viel authentischer“, sagt auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Sie überreicht den höchsten deutschen Orden in einem blauen Etui an Müller. Darin glänzt das rote Kreuz mit dem Bundesadler in der Mitte. „Sie haben es verdient“, sagt Leonhard.

Mit dem Magazin und ihrer Lobbyarbeit für Wohnungslose gäben Müller und ihr Team Verkäufern die Chance auf ein eigenes Einkommen und damit auch auf Wertschätzung. „Sie wecken beim Leser Verständnis für die Lebenslagen der Schwächeren“, sagt die Senatorin.

Noch vor einer Woche haben Leonhard und Müller über die Öffnung des Winternotprogramms auch tagsüber gestritten. „Ein Mordskonflikt“, sagt Müller. Nun sind die Tagesstätten zumindest am Wochenende länger offen. Umso mehr freue Müller sich, dass nun Leonhard ihr den Orden überreiche. „Wir müssen immer im Gespräch bleiben“, sagt Müller, und beschreibt damit ihre jahrzehntelange Lobbyarbeit sehr genau.

„Sie hat etwas in Bewegung gesetzt“, findet Thomas. „Dass sie uns hier bei der Feier mit einbezieht, ist typisch“, sagt er, bevor er geht, um an der U-Bahnhaltestelle Stephansplatz seine Zeitungen zu verkaufen. Den Orden habe genau die Richtige bekommen. Andrea Scharpen