Was bisher geschah
: Hoffnung Technologie

Jetzt sei es an der Zeit, dringend die Art unseres Helfens zu überdenken

Am Sonntag lud die Plattform Berlinale Talents zur Diskussion über „Migratory Narra­tives: The Future of the Refugee Camp“ ein. Angesichts der Komplexität von Flüchtlingslagern sollte die Vielfalt menschlicher Geschichten erkundet werden, die sich in jenen hermetischen Welten miteinander verweben – das Ganze unter dem Schlagwort „World building“.

Heute seien neue Technologien auf dem besten Wege, die totale Immersion in fiktive und interaktive Welten zu ermöglichen, erklärte der Creative Director Alex McDowell. „World building“ sei die transdisziplinäre Erschaffung einer ausufernden Welt: Der virtuelle Raum als kollektives Zukunftsforschungslabor könnte zur Rettung der realen Welt beitragen, so McDowells These.

Um jene reale Welt stünde es tatsächlich so schlecht wie nie, berichtete dann auch der globale Netzwerker und Berater Kilian Kleinschmidt. Das Thema „Flucht“ sei endlich in Europa angekommen, schon allein der Klimawandel werde die Flüchtlingsströme weiter massiv anwachsen lassen. Jetzt, wo wir Bescheid wüssten, sei es an der Zeit, dringend die Art unseres Helfens zu überdenken. Seit dem Zweiten Weltkrieg bestünde diese quasi nur aus Care-paketen – voller Lebensmittel, die keiner essen mag, formulierte er knapp. Als er das berühmte Zaatari-Camp im Norden Jordaniens leitete, wo derzeit etwa 80.000 Flüchtlinge leben, beobachtete er, wie einige begannen, den Strom der Straßenbeleuchtung oder die WC- und Duschkabinen in ihre Schlafcontainer zu entführen. „Im Grunde trafen sie eigene Entscheidungen, um ein Stück Individualität und Würde zurückzugewinnen.“

Individualität und Rebellion sind auch für Jessica Brillhart leitende Themen bei ihrer Arbeit als Virtual-Reality-Filmemacherin bei Google. Sie beschreibt das als einen „Tanz zwischen dem, was der Zuschauer in den virtuellen Welten alles machen will und dem was er tatsächlich tut.“ „The revolution SHOULD be televised!“, rief darauf Puneet Kaur Ahira, Spezialberaterin der technischen Leitung des Weißen Hauses – ein positiv verändertes Zitat des Berlinale-Films „The Revolution Won’t Be Televised“ über eine erfolgreiche Protestbewegung aus dem Senegal. Durch verbesserte Vernetzung ließe sich laut Ahira mehr Sichtbarkeit unter Menschen erreichen, die bereits neue Denkansätze zum Thema Klimawandel und Flüchtlingskrise parat haben.

Ob die schöne neue virtuelle Realität die reale Welt wirklich besser machen könne, wollte schließlich ein etwas ernüchtertes Publikum wissen. „Mehr Virtualität, okay, aber warum?“, fragte beispielsweise eine junge Frau, während das Wort „Technokratie“ durch die Reihen ging. „Weil wir selbst schon zu tief drinstecken?“ Elise Graton