„Sie dürfen Erbsen rauspulen“

KITA Eine Ernährungsexpertin des Leibniz-Instituts erklärt, warum Kinder weder probieren noch aufessen müssen und warum viele Sorgen von Eltern unbegründet sind

Lieber keine vorportionierten Mahlzeiten: Kinder sollten sich ihr Essen löffelweise selbst nehmen dürfen   Foto: dpa

von Eva Przybyla

taz: Frau von Atens-Kahlenberg, viele Kinder essen immer nur dasselbe – soll man sie zwingen, mal was anderes zu probieren?

Wiebke von Atens-Kahlenberg: Sie meinen den „Probierlöffel“? Darauf werde ich oft von Erzieherinnen angesprochen. „Probier doch einfach mal!“ kann die Kinder motivieren, aber es sollte kein Zwang sein, das nimmt die Freude am Essen. Und vielleicht hat ein Kind das Gericht schon woanders gekostet und mag es wirklich nicht.

Was ist mit dem „letzten Löffel“, wenn Kinder sagen, sie seien satt und dann noch einen Löffel essen müssen?

Das ist genau so falsch, wie Kinder zu zwingen, einen Teller leer zu essen. Kinder haben im Gegensatz zu Erwachsenen ein natürliches Sättigungsgefühl, das man nicht verzerren sollte. Damit Kinder lernen, einzuschätzen, wie viel sie essen können, sollten sie sich ihre Portion selbst holen dürfen – am besten löffelweise.

Noch eine Regel: „Wenn du nicht aufisst, gibt es keinen Nachtisch.“

Wer Nachtisch an eine Bedingung knüpft, macht ihn nur wertvoller. In Kitas ist er normaler Bestandteil des Mittagessens und nichts Besonderes, was extra läuft.

Viele Kinder essen kein Gemüse, auch nicht ganz klein geschnipselt. Was tun? Wir empfehlen Köchinnen, die einzelnen Komponenten nicht zu mischen, weil Kinder das nicht so gerne mögen. Außerdem können die Kleinen dann das nehmen, was sie wirklich gerne essen. Bei einem Eintopf geht das natürlich nicht, dann muss das Rauspulen der ungeliebten Erbsen erlaubt sein. Sinnvoll ist auch, die Petersilie in einer separaten Schüssel auf den Tisch zu stellen. Den Kindern macht es Spaß, das Grün selbst auf ihr Essen zu schneien.

Optimale Kita-Mittagessen innerhalb einer Woche nach Empfehlung des Leibniz-Instituts („Bremer Checkliste“):

ein qualitativ hochwertiges Fleischgericht (mageres Fleisch)

ein Eintopf oder Auflauf mit Hülsenfrüchten und einem Vollkornbrötchen

ein vegetarisches Vollwertgericht

ein Seefischgericht

ein Wunschessen der Kinder

ergänzend sollte es zwei bis drei Mal frisches Obst als Nachtisch geben

an den anderen Tagen Rohkost oder Salat

mindestens zweimal frische Kartoffeln

Essen Kinder im Kindergarten anders als zu Hause?

Durch die Gruppe sind sie eher motiviert, Gerichte auszuprobieren. Darüber hinaus sind für Kinder Vorbilder wichtig. Sie beobachten ganz genau, was Erwachsene essen und übernehmen oft ihre Verhaltensmuster. Deshalb sollten Erzieherinnen beim Mittagessen besser keine Stulle von Zuhause auspacken, sondern wenigstens einen kleinen Happen des Mittagessens verspeisen.

Das Bundesministerium für Ernährung empfiehlt: Dem Essen „kindgerechte Namen“ geben wie „Räubersalat“.

Köchinnen und Erzieherinnen melden uns zurück, dass solche Namen durchaus hilfreich sind. Aber es sollte auf dem Speiseplan nicht nur „Piratensuppe“ stehen, sondern auch, was wirklich drin ist. Die Mahlzeiten sind auch dafür da, dass sich Kinder über das Essen unterhalten. Dafür brauchen sie die richtigen Begriffe.

Kann es sein, dass Kinder sich einfach die Nährstoffe holen, die sie brauchen?

Das klappt leider nicht immer. Heutzutage sind süße Speisen immer verfügbar und haben einen großen Reiz. Wir alle kommen mit einer genetisch bedingten Vorliebe für „Süßes“ auf die Welt. Denn das signalisierte unseren Vorfahren, dass ein Lebensmittel garantiert nicht giftig ist und schnell verfügbare Energie liefert. Bei Kindern ist diese Süßvorliebe noch sehr stark ausgeprägt genauso wie die Abneigung gegen den bitteren Rosenkohl: „Giftiges“ schmeckt häufig bitter.

Wiebke v. Atens-Kahlenberg

Foto: Leibniz-Institut

49, ist Ernährungsberaterin und staatlich anerkannte Diätassistentin. Seit 1999 arbeitet sie für das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, für das sie KöchInnen und ErzieherInnen von Bremer Kitas schult.

Dann helfen ja nur noch Vitamintabletten ...

Meistens ist das Essverhalten viel weniger dramatisch als Eltern glauben. Kinder durchlaufen Phasen, in denen sie sich wichtige Nährstoffe holen, wie zum Beispiel in einer „Fleischphase“. Und sie essen tatsächlich von sich aus rohes Gemüse.

Was ist, wenn Kinder sehr wenig essen?

Es ist nicht entscheidend, wie viel ein Kind isst, sondern wie viel es wiegt und ob es gesund ist. Wenn mit dem Gewicht alles in Ordnung ist, gibt es keinen Grund zur Sorge.