„Der Mainstream
rollt rückwärts“

STEREOTYPE Natürlich finden wir Klischees lächerlich. Aber sie beeinflussen uns – und zwar viel mehr, als wir denken. Zum Beispiel die ewigen passiven Schönheiten in Medien und Konsumindustrie

Foto: Illustration : Martina Wember

Interview: Dinah Riese

taz: Frau Häfner, wir haben die Frauenquote, am Entgeltgleichheitsgesetz wird gebastelt, die SPD hat das Jahr 2016 zum „Jahr der Frauen“ erklärt – und Sie und Ihre Kollegin Bärbel Kerber schreiben ein Buch darüber, dass Frauen immer noch auf der Stelle treten. ­Warum?

Gabriela Häfner: Auf gesetzlicher Ebene sind wir schon relativ weit gekommen. Aber wenn wir uns angucken, wie es in der Realität aussieht – wie sind Einkommen verteilt, wie ist Macht verteilt –, sehen wir, dass Frauen nur sehr zögerlich vorrücken. Die Aida-Studie von 2011 hat gezeigt, dass Mädchen in der Pubertät plötzlich an Selbstbewusstsein verlieren. Wie passt das zum Bild der starken Alphamädchen? Offensichtlich trägt das, was mit Mädchen in dieser wichtigen Phase ihres Lebens passiert, nicht unbedingt zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei.

Und da landen Sie in Ihrem Buch bei den alten Rollenklischees.

Genau. Wir denken bei Rollenklischees an so etwas wie die Mario Barth Show – witzig, aber tangiert uns eigentlich nicht. Aber die Wirkung von Rollenbildern ist durch viele Studien sehr gut erforscht, und die Ergebnisse sollten doch aufhorchen lassen.

Aber solche Klischees wie bei Mario Barth nimmt doch heute niemand mehr ernst, oder?

Im Großen und Ganzen gilt das als nicht politisch korrekt. Aber was sagt uns denn unsere Gesellschaft, wo Frauen stattdessen hingehören? Wir haben höchstens 30 Prozent sprechende weibliche Charaktere in Hollywoodfilmen und gerade mal 11 Prozent Frauen in den ­Hauptrollen – fällt uns das eigentlich auf? Nein. Das nehmen wir als normal hin. Und da fängt es an, problematisch zu werden. Rollenbilder zeigen sich nicht nur in einem Witz über Frauen und Männer, sondern sie stecken überall. Eine Studie hat gezeigt, dass Film und Fernsehen einen viel stärkeren Einfluss auf die Berufswahl junger Menschen haben als etwa die Berufsberatung. Aber Frauen in technischen oder naturwissenschaftlichen Berufen etwa sind im Kinder- und Jugendfernsehen überhaupt nicht präsent.

Warum lassen wir uns von Medien so stark beeinflussen?

Facebook, Fernsehen, Werbung – wir sind täglich mit 2.000 bis 5.000 Bildern konfrontiert. Was wir da sehen, sind verzerrte Schönheitsideale. Aber wir begegnen keinen 2.000 bis 5.000 Menschen am Tag, an denen wir messen können, ob diese Bilder eigentlich real sind.

Die Botschaft, die hängen bleibt: Eine Frau soll vor allem schön sein.

Schön sein wollen wir alle. Es geht um die Frage, was für Körpernormen uns vermittelt werden. In unseren Konsumwelten lassen sich Produkte besser verkaufen, wenn man sie mit einer schönen Person bewirbt. Dadurch ist unser Alltag überflutet mit gepimpten Körperbildern, vor allem von Frauen. Mädchen werden sehr früh darauf geprägt, auf ihr Äußeres zu achten. Wir müssen uns aber das ganze Spektrum erlauben. Die Verabsolutierung dieser Ideale widerspricht komplett unserer Vorstellung, so vielfältig wie heute hätten wir noch nie gelebt.

Von Vielfalt ist auch in den Spielzeugabteilungen wenig zu sehen: rosa Puppen auf der einen Seite, Schwerter und Abenteurer auf der anderen.

Gabriela Häfner

Foto: privat

Jahrgang 1969, ist Kulturwissenschaftlerin und Journalistin. Mit ihrer Kollegin Bärbel Kerber gründete sie das Frauen-Onlinemagazin MissTilly.de. Zusammen schrieben sie auch 2015 das Buch „Das innere Korsett. Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen“. Von ihnen haben wir den schönen Titel dieser Ausgabe ausgeliehen.

Die Aufteilung in die Kategorien „Für Jungen“ und „Für Mädchen“ hat rasant zugenommen in den letzten Jahren. Das ist vom Markt so gewollt – wenn Sohn und Tochter nicht mit denselben Figuren spielen, müssen Eltern zweimal in die Tasche greifen. Für Mädchen gibt es unzählige Spielzeuge zum Kämmen, Schminken, Putzen und Kochen – das sind die ganz traditionellen Frauenbilder, die so schon an ganz junge Mädchen herangetragen werden.

Frauenbratwürste, rosa Akkuschrauber und Spielzeugherd – dadurch werden Mädchen und junge Frauen doch nicht zwangsläufig zur Hausfrau. Durchschauen sie diese Stereotype nicht sowieso?

Für viele junge Frauen steht fest, dass sie berufstätig sein und ihre Rolle im Leben nicht auf Mutterschaft und Partnerglück reduzieren wollen. Das scheint in den Köpfen gut verankert zu sein. Mit dem ersten oder zweiten Kind kommt es dann aber oft zu einer Retraditionalisierung. Eine Studie hat gezeigt, dass Frauen in dieser Phase auf Rollenmuster zurückfallen, die in Jugend- und Kindheitsjahren an sie herangetragen wurden. Durch die Medien, aber natürlich auch durch das, was ihr Elternhaus ihnen vorgelebt hat.

Laut Familienministerium wünschen sich 60 Prozent der jungen Eltern eine partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben. Aber dann verdient der Mann eben mehr, es fehlt an Flexibilität im Job. Liegen die Stellschrauben nicht doch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik?

Ich will diese politischen Maßnahmen gar nicht kleinreden. Sie sind ein wichtiges Angebot, Rollenverteilung überhaupt anders anzugehen. Die Frage bei Quote und Elterngeld ist, ob die Möglichkeiten dann auch genutzt werden. 30 Prozent der Väter nehmen jetzt Elternzeit – aber die meisten eben nur die zwei Monate, die sonst verfallen würden. Die Frauen stehen also immer noch in der ersten Reihe. Politische Mittel allein reichen nicht aus.

Sie sagen also, Frauen bremsen sich selbst aus, weil ihnen das von klein auf beigebracht wird. Wie genau sieht dieses Verständnis von „Frau sein“ aus?

Frauen werden in die Rolle der Passiven gedrückt, die für andere sorgt, auf ihr Äußeres zu achten hat und ihr Glück in Beziehungen sucht. Schon früh werden Mädchen darin bekräftigt, Erwartungen zu erfüllen. Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ trainieren sie darauf, sich selbst den unsinnigsten Erwartungen zu beugen. Bei Jungs hingegen wird das Bedürfnis nach Autonomie – das auch Mädchen haben – gestärkt. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass wir füreinander da sind. Schwierig wird es, wenn diese Aufgabe einseitig an Frauen gerichtet und Männern teilweise sogar abgesprochen wird.

Und diese Rollenzuweisung führt dann dazu, dass Frauen den größeren Teil der Elternzeit nehmen und danach nicht wieder voll in den Beruf einsteigen?

Gerade mal 11 Prozent der Hauptrollen in Hollywoodfilmen sind für Frauen

Die Hauptschwierigkeit bei Wiedereinstieg ist mangelndes Selbstbewusstsein. Da kann man zwölf Jahre aus dem Beruf raus sein oder eines, man kann Verkäuferin oder Akademikerin sein – was alle Frauen gemeinsam haben, ist Verunsicherung. Das Normalmaß in unserer Gesellschaft ist die männliche Arbeitsbiografie: 40 Jahre durcharbeiten. Wenn wir dem nicht entsprechen, beginnt der Rückzug hinter die eigenen Möglichkeiten.

Wenn ich mich also intensiv mit dem Thema beschäftigt habe und plötzlich all die subtilen Unterschiede im Alltag wahrnehme und verstehe – bin ich dann frei von Rollenzwängen?

Sicher nicht. Aber erst, wenn wir unser Bewusstsein geschärft haben, können wir uns bewusst für einen anderen Weg entscheiden. Wir müssen diese Dinge tatsächlich auf den Tisch bringen und dürfen nicht weiter glauben, das gehöre zum Spiel dazu und man müsse es wegstecken. Ein unbenanntes Problem wird nicht als solches wahrgenommen. Wir können da Initiativen ergreifen, wo uns im Privaten oder im Beruflichen bestimmte Muster auffallen, von denen wir glauben, wir hätten sie doch eigentlich schon abgelegt – wie zum Beispiel die Initiative Pro Quote Regie, die auf das Fehlen von Frauen im eigenen Berufsfeld reagiert hat.

Wenn man Ihr Buch liest, bekommt man das Gefühl, die Situation werde eher schlimmer statt besser. Dabei nennen Sie auch Positivbeispiele – etwa die starke weibliche Hauptrolle im Kinohit „Die Tribute von Panem“. Wie passt das zusammen?

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, uns auf die Ergebnisse vieler verschiedener Studien zu konzentrieren. Wir wollten klarmachen, dass es bestimmte repräsentative Muster und Strukturen gibt und dass diese nicht nur einzelne Personen betreffen. Natürlich gibt es eine Vielfalt von gelebten Rollenbildern, die sich daneben etabliert hat – auch bei Männern. Es gibt heute viel mehr Frauen als noch vor 40 Jahren, die allein das Familieneinkommen nach Hause bringen, während der Partner zu Hause bleibt. Diese Veränderungen finden statt, das wollen wir nicht leugnen. Wir dürfen nur nicht übersehen, was im Mainstream stattfindet; und das ist tatsächlich eher ein Rollen-Rollback.