„Sssssiiit“– im Handumdrehen hat so eine Holzerntemaschine den Baumfälljob erledigt: ein Harvester in Aktion Foto: Stefan Sauer/picture alliance

„Harvester“ sind keine Monster

Wald Den Winter über wird in den Berliner Forsten Holz geerntet – mit riesigen Maschinen. Der Waldboden leidet, glauben Erholungssuchende. Stimmt nicht, sagen Fachleute, die Wald- fauna profitiert. Ein Vor-Ort-Besuch

von Claudius Prößer

Der Harvester pflückt Kiefern, eine nach der anderen. Sein Kranarm tastet sich in die richtige Position, die Greifvorrichtung umschließt den Stamm kurz über dem Boden, „sssssiiit“ macht die integrierte Kettensäge – der Baum ist ab und schwebt in der Luft. Dann lässt der Greifer die 15 Meter Holz durch seine Metallzähne rutschen, als zöge ein gieriger Esser sich einen Schaschlikspieß quer durch den Mund. Dreimal noch surrt die Säge, dann liegen vier astfreie Stammabschnitte neben hunderten anderen auf dem Waldboden. Was eben noch die Krone war, ist nur noch Grünzeug, über das der Harvester alias „Holzvollernter“ zur nächsten Kiefer rollt.

Von den Gärten aus, die hier in Müggelheim direkt an den Waldrand grenzen, beobachten ein paar ältere Leute die Arbeiten. „Vor ein paar Jahren noch haben mich Anwohner regelmäßig entsetzt gefragt, was um Himmels willen das für eine Maschine ist“, sagt Silvia Knöfel-Mosch, die das Geschehen zusammen mit dem Reporter aus sicherem Abstand verfolgt. „Inzwischen kriegen sie einen Informationsbrief von mir, bevor die jährlichen Durchforstungsmaßnahmen anfangen.“

Was die Revierförsterin des Köpenicker Forstreviers Teufelssee darin unter anderem erklärt: Der Einsatz der monströsen Baumpflücker geschieht im Einklang mit den Prinzipien des Forest Stewardship Council (FSC), einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die Zertifikate für nachhaltige Waldbewirtschaftung vergibt – fast schon eine Art Ökolabel. Wie passt das zusammen?

Schneise der Verwüstung

Das fragen sich auch viele Spaziergänger, die in den Wintermonaten im Grunewald unterwegs sind, im Tegeler Forst, in Buch oder eben in Köpenick. Unverhofft stößt man auf das, was Laien wohl als „Schneise der Verwüstung“ bezeichnen würden: Scheinbar willkürlich verteilt liegen Holzstapel zwischen den Bäumen, dazwischen die zerfetzten Kronenreste. Auf den Wegen haben die Fahrzeuge oft tiefe Furchen hinterlassen, zumal bei Regenwetter und nassem Boden. Besonders nachhaltig sieht das auf den ersten Blick nicht aus.

Das Land Berlin besitzt rund 29.000 Hektar Wald – davon befinden sich allerdings nur rund 16.500 Hektar innerhalb der Stadtgrenzen, der Rest sind Waldflächen in Brandenburg. Die meisten Bäume, fast zwei Drittel, sind Kiefern, danach folgen Eichen mit einem Anteil von 13 und Buchen mit 10 Prozent.

Immer im Winter wird Holz gefällt. Rund 80 Prozent dieser Durchforstungsarbeiten werden von „Selbstwerbern” geleistet – Privatunternehmen, die das Holz in Eigenregie schlagen, verarbeiten oder weitervermarkten, sei es als Brennstoff oder Baumaterial. In den vergangenen Jahren fiel dabei ein Erlös von rund3 Millionen Euro ab.

Seit 2002 sind alle Wälder der Berliner Forsten nach dem Wald-Standard der Non-Profit-Organisation Forest Stewardship Council (FSC) zertifiziert, der eine möglichst naturgemäße Bewirtschaftung garantieren soll. Ökologische Belange werden dabei berücksichtigt, Kahlschlag ist grundsätzlich ausgeschlossen. 10 Prozent der deutschen Wälder sind FSC-zertifiziert. (clp)

„Eigentlich sind Bodenschäden kein Thema bei uns“, sagt Marc Franusch, der Sprecher der Berliner Forsten. Er ist mitgekommen ins Teufelssee-Revier, wie Silvia Knöfel-Mosch trägt er eine dunkelgrüne Jacke mit einem roten Signalstreifen. „Allerdings sind die landeseigenen Wälder laut Gesetz für die Erholungsnutzung vorgesehen. Dabei stören tiefe Fahrspuren dann schon mal ein paar Wochen im Frühjahr.“ Die Spuren, die weniger von den Harvestern als von den „Forwardern“ stammten, großen Zugmaschinen, die das geschlagene Holz aus dem Wald holen, blieben aber meist im Rahmen. Schon weil der Berliner Boden viel Sand enthält, der nicht so komprimierbar ist wie Lehm. „Am besten ist natürlich, wenn die Arbeiten bei Frost stattfinden können“, ergänzt Franusch, „dann trägt der Boden das Gewicht der Fahrzeuge problemlos.“

Und natürlich kommt es trotz aller Vollautomatik auch darauf an, wie der Fahrer des Harvesters sein Gefährt durch den Wald manövriert. Hinein und wieder heraus kommen die Fahrzeuge über die sogenannten Rückegassen, die Erholungssuchende wohl einfach als wenig gepflegte Waldwege identifizieren würden und die in einem ziemlich regelmäßigen Raster den Wald durchziehen. Die letzten Meter bis zu den Bäumen, die vom Forstamt mit Farbspray zur Fällung markiert worden sind, bedürfen dann aber eines gewissen Fingerspitzengefühls. „Bei neuen Fahrern bin ich erst mal dabei und schaue mir an, wie die arbeiten“, sagt Försterin Knöfel-Mosch.

Wie viele andere landeseigene Unternehmen haben auch die Berliner Forsten unter dem Spardiktat der vergangenen anderthalb Jahrzehnte gelitten: Die Personaldecke wird immer dünner. Die meisten Waldarbeiter sind heute deshalb im Auftrag von Privatunternehmen tätig, die das „stehende Holz“ von den Berliner Forsten kaufen und selbst schlagen. Dass sie sich im Wald aufführen wie die sprichwörtliche Axt, soll auch schon vorgekommen sein. „Natürlich gibt es qualitative Unterschiede“, sagt Marc Franusch, „da gilt es eben eine Grenze zu ziehen. Wir haben schon Firmen aussortiert und Fällaktionen abgebrochen, wenn das nötig war.“

Zum Beweis, dass der Harvesterfahrer in Müggelheim sich an die Regeln hält, zeigt Knöfel-Mosch auf eine Kiefer, die ein Stück innerhalb der Rückegasse steht, aufgrund ihres guten Wuchses aber nicht zur Fällung freigegeben ist: „Ein anderer hätte die womöglich auch noch mitgenommen, damit sie ihn beim Rangieren nicht stört.“ Wenn alles korrekt zugeht, werden auch die Baumkronen und die dünnen Äste, die der Harvester von den Stämmen geraspelt hat, in den Rückegassen verteilt. So rollen die Fahrzeuge wie über einen nadeligen Teppich, was ihr Gewicht besser verteilt.

Nachhaltiges Holzernten: Revierförsterin Silvia Knöfel-Mosch und Marc Franusch, Sprecher der Berliner Forsten Foto: F oto: Claudius Prößer

Auch wenn Naturschützer nicht wirklich glücklich über die technische Aufrüstung im Wald sind: Auch beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) etwa weiß man, dass die Maschinen, richtig eingesetzt, keine Monster sind. Und tatsächlich beinhaltet der umfangreiche Kriterienkatalog des FSC Deutschland keine Aussagen über die Art der Forstmaschinen, die in einem als nachhaltig zertifizierten Wald zum Einsatz kommen dürfen. Wie der Sprecher der Organisation, Lars Hoffmann, bestätigt, kommt es auf die Ergebnisse der Forstarbeiten an, nicht mit welchem Gerät sie durchgeführt wurden.

Was die Gutachter interessiert, die einmal im Jahr für den FSC jeden Wald mit Nachhaltigkeitssiegel in Augenschein nehmen, sind andere Aspekte: möglichst weite Abstände der Rückegassen, der Verzicht auf Pestizide, die natürliche Verjüngung und Durchmischung des Baumbestandes oder der Schutz von Kleinbiotopen, etwa alten, abgestorbenen Einzelbäumen. Aber auch der Schutz von Menschen spielt in den FSC-Kriterien eine Rolle: „Die Arbeiter in den Harvestern sind letztlich besser vor Unfällen geschützt als bei manuellen Fällarbeiten“, sagt Hoffmann.

Jetzt im März gehen die winterlichen Durchforstungsarbeiten zu Ende – „weil die Brut- und Setzzeiten beginnen“, wie Marc Franusch, ebenfalls gelernter Forstwirt, erklärt. Mit steigenden Temperaturen widmen sich Specht und Kleiber, Reh und Wildsau ihren reproduktiven Tätigkeiten, da soll kein Motorenlärm sie stören.

Einfallstor für Sonnenlicht

Über den Wald als Erholungsgebiet und Bodenschäden

„Die tiefen Fahrspuren stören dann schon mal ein paar Wochen im Frühjahr“

Marc Franusch, Sprecher der Berliner Forsten

Die Waldfauna profitiert als Teil des Ökosystems ebenfalls vom Einsatz der Harvester: Über die Jahrzehnte hinweg sollen Berlins Forsten, nach dem Krieg aus der Not heraus geplündert und anschließend großteils als Kiefern-Monokultur neu gepflanzt, wieder zu Mischwäldern werden, die nicht zuletzt auch dem Klimawandel besser trotzen.

Jede Lücke, die der Vollernter ins Nadelholzgedränge schlägt, ist ein Einfallstor für Sonnenlicht, das auch anderen Arten die Chance zum Keimen gibt. Silvia Knöfel-Mosch zeigt auf einen jungen Laubbaum: „Sehen Sie, da hat vielleicht mal der Eichelhäher eine Eichel fallen lassen.” Ganz ohne „Initialpflanzungen“ durch die Berliner Forsten geht es aber nicht: „Wir hätten auch gerne mal eine Winterlinde dazwischen, eine Hainbuche oder eine Birke.“

An besonders schwierigen Stellen wie morastigen Flächen oder Abhängen wird übrigens immer noch von Hand gesägt – „motormanuell“, wie es im Fachjargon heißt, denn natürlich muss hier niemand mehr mit reiner Muskelkraft arbeiten. Das tun nur die sechs nicht menschlichen Mitarbeiter der Berliner Forsten: Rückepferde. Wenn sie bei diesen Sonderfällungen die Stämme aus dem Gehölz ziehen, hinterlassen sie nur ganz dezente Hufabdrücke. Und natürlich ab und zu eine Ladung Dünger.