Stadtgespräch
: Zurück in die Diktatur

Die Regierung ignoriert Urteile des Verfassungsgerichts. Das treibt vor allem junge Leute auf die Straße

Gabriele Lesseraus Warschau

Der Platz vor dem polnischen Regierungssitz in Warschau ist hell erleuchtet. Hunderte junger Polen schlagen Zelte auf, verteilen Tee, hantieren mit Taschenlampen und Diaprojektoren. Einer ruft ins Megafon: „Beata, druck das Urteil!“ Die Menge skandiert: „Druck das Urteil!“ Schließlich leuchtet an der Hauswand des Büros von Premier Beata Szydło das Urteil des Verfassungsgerichts, das die rechtsnationale Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nicht anerkennen will. In großen Lettern leuchtet das Schlüsselwort: „Verfassungswidrig“.

Ania schwenkt eine Fahne mit dem Schriftzug „Razem“ („Zusammen“). Die linke Partei errang bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 3,6 Prozent. „Beata Szydło kann doch nicht sagen, dass sie das Urteil des Verfassungsgerichts nicht anerkennt“, keucht die 24-jährige Sozialarbeiterin.

Ania findet das soziale Programm der Regierungspartei ganz gut: „500 Zloty Kindergeld, Rentenalter runter, faire Arbeitsverträge für junge Leute, höheres Mindesteinkommen – alles okay, nur hat die PiS von diesen Versprechen bislang noch fast nichts eingelöst.“ Sie reicht die Fahne an eine andere Demonstrantin weiter. „Stattdessen errichten die eine Diktatur! Ohne uns!“

Ein paar Meter weiter fotografiert der 19-jährige Abiturient Marcin sich und seine Freunde. „Ein tolles Happening!“, lobt er. Da hätten wir auch drauf kommen können.“ Am Mantelkragen prangt ein weißer Button mit dem Kürzel KOD, das für „Komitee für die Verteidigung der Demokratie“ steht. „Meine Eltern sind da hinten“, sagt er stolz. „Die haben schon gegen den Kommunismus gekämpft. Jetzt kämpfen wir gegen eine neue Einparteienherrschaft.“ Er deutet auf einen zweiten Button am Kragen: „Übelste Sorte“ steht da. „Wir hier gehören alle zur ‚übelsten Sorte von Polen‘. Das meint Jarosław Kaczyński.“

Der PiS-Parteichef ist zwar nur einfacher Abgeordneter, doch beansprucht er die Richtlinienkompetenz in der Politik für sich. 2005 bis 2007, als Kaczyńskis PiS an der Macht war, kassierte das Verfassungsgericht mehrfach Gesetze. Diesmal will die Regierung das Urteil nicht publizieren, da es erst am Tag der Veröffentlichung gültig wird. Damit aber verstößt die Regierung wieder gegen die Verfassung. Für Hanna Gronkiewicz-Waltz, Warschaus Oberbürgermeisterin, ist eins klar: „Wir leben wieder in einer Diktatur.“