HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICH
: Gangster 80 plus

Der alte Meckerkauz weiß, dass ihm niemand zu Leibe rückt. Bestimmt prüft er bei jeder Busfahrt seine Grenzen

Ich finde es sympathisch, wenn Leute unverblümt sagen, was sie denken. Die gesellschaftliche Konvention der Höflichkeit? Papperlapapp! Doch kann man es übertreiben – so wie der alte Kauz, den ich letztens im proppenvollen Bus getroffen habe.

Sitze da, lese, ahne nichts Böses, bis dieser Mann, Gehstock, altbackener Hut, mit einem italienischen Akzent ruft: „Deutsche sind hässlich, ihr Kartoffeln seid alle scheiße!“ Der Mann schlägt wütend auf seinen Oberschenkel, das wiederholt er gefühlte 100 Mal. „Und Sie da!“ Er zeigt auf eine Frau mit spitzer Nase. „Sie sehen aus wie ’ne Ratte!“

Irgendwann, nach herrlichen 20 Minuten Pöbelei und der Beleidigung aller Mitfahrer – einschließlich des Busfahrers, „der fährt wie ’ne besengte Sau“ – sagt ein Mann zu dem älteren Herren: „Nun ist aber gut.“

Das findet der Alte gar nicht lustig. Der haut ihn bestimmt gleich, denke ich. Eine Prügelei mit einem wohl 85-Jährigen, das wäre doch was. Etwas amüsiert stelle ich mir vor, wie der Mann mit dem Gehstock Tabula rasa macht.

Doch nichts passiert. Wahrscheinlich weiß der alte Meckerkauz, dass ihm niemand zu Leibe rückt. Bestimmt prüft er bei jeder Busfahrt seine Grenzen. Dann steigt er aus, meine Mitfahrer atmen auf. Ich finde es ein bisschen schade. Draußen sehe ich noch, wie er einen Jugendlichen anrempelt. Weiter so, Alter!