Syrer unter Mordverdacht

UN-Ermittler Detlev Mehlis: Geheimdienste für den Tod des früheren libanesischen Ministerpräsidenten verantwortlich

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

An der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri waren nach einem UN-Bericht vermutlich ranghohe Offiziere der syrischen und libanesischen Sicherheitskräfte beteiligt. Der UN-Sonderermittler und Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis erklärte bei der Vorstellung seiner Untersuchungsergebnisse in New York, ein so komplexes Attentat hätte ohne Wissen der Geheimdienste beider Länder kaum geplant werden können. „Es gibt Grund zur Annahme, dass die Entscheidung zur Ermordung al-Hariris nicht ohne Zustimmung hochrangiger syrischer Sicherheitsbeamter fallen konnte“, heißt es in dem Bericht, den Mehlis gestern dem UN-Sicherheitsrat übermittelte. Syrien wird nun weiter unter internationalen Druck geraten. Die Regierung in Damaskus und das Büro des libanesischen Präsidenten Lahud wiesen die Vorwürfe zurück.

Staatsanwalt Detlev Mehlis hat für seinen Bericht 60.000 Seiten von Dokumenten und die Aussagen von 4.000 Zeugen ausgewertet. Im Bericht heißt es, es gebe „übereinstimmende Indizien für eine libanesische und syrische Beteiligung“ an dem Mordanschlag. „Aufgrund der syrischen Durchdringung der libanesischen Institutionen und Gesellschaft und den libanesischen und syrischen Sicherheitsbehörden, die damals im Tandem gearbeitet haben, ist es schwer, sich vorzustellen, dass eine derart komplexe Mordverschwörung ohne deren Wissen vonstatten ging“, heißt es weiter. Es gebe „viele Punkte, die auf eine direkte Verwicklung syrischer Sicherheitsbeamter hindeuten“.

Beschuldigt wird unter anderem der syrische Geheimdienstchef Assef Schaukat, ein Schwager von Präsident Baschar al-Assad und zweitmächtigster Mann Syrien. „Die wichtigste Spur deutet darauf hin, dass er der Anführer war“, zitiert die New York Times sogar einen mit der Untersuchung vertrauten Diplomaten, der nicht namentlich genannt werden will. Laut einem Zeugen soll Schaukat 15 Tage vor dem Attentat einen Mann dazu gezwungen haben, ein Schuldbekenntnis zu fälschen. Auch Rustum Ghasale, der letzte Chef des syrischen Geheimdiensts im Libanon, soll in das Mordkomplott verwickelt sein. Der syrische Innenminister Ghazi Kanaan, der viele Jahre für die Arbeit des syrischen Geheimdienstes im Libanon verantwortlich war und letzte Woche Selbstmord beging, wird in dem Bericht nicht erwähnt.

Die Untersuchung sei nicht abgeschlossen, betont der Bericht, müsse nun aber von den libanesischen Behörden mit internationaler Unterstützung weitergeführt werden. Dabei müssten auch Finanztransaktionen und weitere Mordanschläge geprüft werden.

Die Mehlis-Kommission beschwert sich darüber, dass die syrischen Behörden nur bis zu einem gewissen Punkt kooperiert hätten. In einigen der Verhöre mit syrischen Offiziellen sei versucht worden, die Untersuchung auf die falsche Fährte zu lenken. Der syrische Außenminister Faruk Scharaa wird sogar bezichtigt, in einem Brief an die Kommission gelogen zu haben. „Wenn die Untersuchung abgeschlossen werden soll, ist eine umfassende Kooperation der syrischen Regierung unverzichtbar“, wird in dem Bericht festgestellt.

Doch auch die libanesische Seite wird schwer belastet. Mustafa Hamdan, der zum Zeitpunkt des Mordanschlags die libanesische Präsidentengarde kommandierte, soll einem Zeugen im Oktober 2004 gesagt haben: „Wir werden ihn auf eine Reise schicken. Bye-bye, Hariri.“ Er und drei weitere libanesische Generäle sind bereits wegen ihrer mutmaßlichen Verwicklung in den Mord festgenommen worden. Darüber hinaus wird in dem Bericht die Rolle des libanesischen Präsidenten Lahud hinterfragt, der als treuer Verbündeter Syriens gilt. Al-Hariri wiederum war darauf bedacht, den syrischen Einfluss zurückzudrängen. Lahud soll wenige Minuten vor der Autobombenexplosion, die al-Hariri und 20 weitere Menschen tötete, einen Telefonanruf der prosyrischen Gruppe al-Ahbasch erhalten haben.

„Daran ist absolut nichts wahr“, hieß es indessen aus dem Büro Lahuds zu den Vorwürfen. Es handele sich hier um eine gezielte Kampagne gegen den Präsidenten. Der libanesische Ministerpräsident Fuad Saniora äußerte sich zunächst nicht zu dem Untersuchungsbericht. Antisyrische Abgeordnete in Beirut lobten hingegen die „eindeutige Verurteilung“ des damaligen syrisch-libanesischen Sicherheitsapparats.

Der syrische Informationsminister Mehdi Dachlallah erklärte, der Bericht sei „100-prozentig politisch motiviert“ und enthalte falsche Darstellungen. Offensichtlich gehe es nur darum, den internationalen Druck auf Damaskus zu verstärken. Wegen dieses Drucks hatte sich Syrien nach dem Attentat aus dem Libanon zurückgezogen.

„Wir werden den Bericht sehr genau studieren und auf dieser Grundlage unsere nächsten Schritte beschließen“, erklärte der amerikanische UN-Botschafter John Bolton bereits, der sich in Beratung mit mehreren anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates befinden soll. Als sicher gilt, dass Washington den Bericht benutzen wird, den diplomatischen Druck auf Damaskus zu erhöhen und das Land weiter politisch zu isolieren. Möglich ist die Forderung von UN-Sanktionen gegen Syrien.

In einem Interview mit CNN hat der syrische Präsident gegen den wachsenden Druck bereits vorgearbeitet und den Anschlag verurteilt, ohne jedoch die Möglichkeit einer syrischen Verbindung ganz auszuschließen. „Wenn ein Syrer beteiligt war, dann muss er international oder in Syrien bestraft werden“, erklärte al-Assad. Seit Wochen kursieren Berichte, dass das syrische Regime seit Juni mit Washington Kontakt aufgenommen hat, um einen Deal zu vereinbaren und Schlimmeres abzuwenden. Syrien könnte dabei eine aktivere Kontrolle seiner Grenze zum Irak anbieten, um ein weiteres Einsickern von Dschihadkämpfern in den Irak zu verhindern. Damaskus soll angeblich auch angeboten haben, Mitglieder des Regimes, die in die Ermordung al-Hariris verwickelt sein könnten, auszuliefern.

Am 25. Oktober wird Mehlis dem Sicherheitsrat persönlich Bericht erstatten. UN-Generalsekretär Kofi Annan kündigte an, er werde das Mandat der Ermittler bis zum 15. Dezember verlängern, damit ausstehende Details geklärt werden könnten. MIT AP, BBC