Das Es bändigen

Vicky Cortes‘ „Sandkasten“, jetzt uraufgeführt auf Kampnagel, verharrt in unbeholfenen Beliebigkeiten

Hölzerne Bewegungen zwischen dekorativen Requisiten

Wenn man in trauter Runde die Verhaltensweisen gemeinsamer Freunde mit plakativen Versatzstücken der freudschen Psychoanalyse zu erklären sucht, heißt das Küchenpsychologie. In ihrem neuen Tanzstück Der Sandkasten arbeitet die Hamburger Choreographin Vicky Cortes mit Körpersprache. Anstelle eines Küchentisches stehen zudem eine Schaukel, eine Rutsche und besagter Sandkasten auf der Bühne, und das heißt dann Spielplatzpsychologie.

Während der Uraufführung am Mittwoch auf Kampnagel musste das Publikum mit ansehen, wie sich ein nackter Mann (Heino Stavermann) lächerlich machte. Mehr peinlich als lustig: ein plüschiger Elefantenrüssel verdeckte lendenschurzmäßig sein Allerheiligstes. Das Tier im Mann erwacht, Stavermann knurrt, erhebt sich aus dem Dämmerschlaf des tierischen Daseins und schleicht minutenlang über den Spielplatz. Diese Szene soll, so steht es im Programmheft, „die schmerzhaften, aber unvermeidlichen Brüche an den Übergängen zwischen verschiedenen Phasen in der Entwicklung des Menschens“ zeigen.

Stavermann und Alexander Höpfner, sein Kollege von der freien Künstlergruppe „Wuuul“, demonstrieren im Sandkasten jedoch vor allem, dass sie mit ihren Requisiten nichts anfangen können. Dekorativ, nicht integrativ, baumelt der Elefantenrüssel an den Lenden, fällt Höpfner seine Brille von der Nase. Unmotiviert ziehen sich die beiden aus, dann an, dann Teilbekleidung, voltigieren, galoppieren, kurz: dressieren sich selbst, oder das Tier im Mann, oder das Es, oder die Lust.

Doch egal, wie diese zu zivilisierende Energie zu nennen sei – die plakativen Bewegungszitate bleiben fest stecken in der Dichotomie von Natur und Kultur, wiederholen dieses Muster, ohne damit zu arbeiten. Die beiden Männer bewegen sich hölzern, fast schon unaufmerksam. Frisch fegt hingegen die tanzende Choreographin Vicky Cortes hinein, legt einige makellose Martial-Arts-Katas hin, schlägt, dreht und wendet sich. Spannende Intermezzi anfangs, die dann allerdings in der dramaturgischen Beliebigkeit des Stücks untergehen, zumal Cortes nichts anderes zeigt als Kung-Fu-Fighting-Versatzstücke.

Als letzter Joker wackelt Antje Pfundtner auf den Spielplatz, im engen schwarzen Kleid mit Langhaarperücke aus Vollplastik, eher Helm als Haar. Überraschenderweise gelingt es Pfundtner zu fesseln. Denn ihre verdrehten Bewegungen irritieren Sehgewohnheiten, sie spreizt den Unterschenkel nach außen ab, Verrenkungen, wie sie sonst nur brutale Puppenmütter mit ihren Barbies hinkriegen. Mit diesem Auftritt hätte ein packendes Stück Bewegungstheater beginnen können. Katrin Jäger

Weitere Vorstellungen: 19., 21., 22 sowie 26.–29.10., 20 Uhr, Kampnagel