Der Hummer muss weg

INVASION Schwedens Regierung hat die Kontrolle verloren: über den US-Hummerin Europa – und einen Kulturkampf unter Wasser, auf den die AfD neidisch wäre

Von wegen „keine Invasion“: Dieses Tier kann 60.000 Eier legen Foto: Robert F. Bukaty/ap

Von Martin Kaul

BERLIN taz | Es war das Jahr 1983 in Westdeutschland, da entflohen jene zwölf formschönen, rosafarbenen Chileflamingos ihrer einstigen Heimat und feierten im Zwillbrocker Venn, einem Wald-, Moor- und Feuchtwiesengebiet in Nordrhein-Westfalen, einen echten Bruterfolg. Es schlüpften: Zwei junge Flamingos, und später, weil sie blieben, schlüpften immer mehr. Seitdem gehören die Chileflamingos zu Deutschland. Niedliche Tiere, zum Träumen schön, ein voller Integrationserfolg. Und dann das Drüsige Springkraut! Einst kam es, 1839, als Import aus dem Himalaja, nun ist es die Freude vieler Gärtner: quirlständig, eilanzettlich, scharf gezähnt.

Die Geschichtsschreibung botanischer und animaler Ansiedlungen könnte so einfach betulich weitererzählt werden, wären da nicht Schweden, die EU-Kommission und der amerikanische Hummer, der seine Grenzen nicht kennt. Aber weil das so ist, hat nun in Schweden ein Kulturkampf um den Hummer seinen Ausgang genommen, der sich wie das Umweltprogramm der AfD liest. Es geht um die Invasion des US-Lobs­ters, um dessen ungezügelte Vermehrung und die Krankheiten, die er einschleppt. Und natürlich geht es vor allem: um den Schutz des europäischen Hummers. Die Einsicht: Wo ein Tier erscheint, das vorher noch nicht da war, folgen schnell Verdrängung, Konkurrenz und Tod. Denn die schwedische Regierung, so berichtet der briti­sche Guardian, hat an den Küs­ten des Landes in den letzten Jah­ren ganze 30 amerikanische Hummer gezählt, die eigentlich rund um Maine an der amerikanischen Ostküste beheimatet sein sollten. Und wie das mit Meeren so ist: Niemand weiß, ob am Meeresgrund schon eine Armada amerikanischer Lobster begonnen hat, die europäischen Artgenossen zu „verdrängen“. Diese sind schließlich kleiner und im Überlebenskampf womöglich unterlegen.

Um nun also, denn dazu gibt es ja dieses Europa, die Frage ein für alle Mal zu klären, hat die schwedische Regierung am Freitag vergangener Woche die EU-Kommission gebeten, den Fremdhummer als invasive Tierart zu brandmarken und den Import lebendiger Amerika-Hummer in die EU zu verbieten: Der Hummer muss weg.

Es müssen, denken sie, wohl Schlepper sein, die den Lobster einführen

Denn hinter den vereinzelten Funden der nicht besonders verbreitungsfreudigen Tiere vermuten die Schweden Methode: Schlepper quasi, die die lebendigen Hummer aus den USA mitbringen, um sie in Europas Gewässern anzusiedeln. In Einzelfällen, heißt es aus Schwedens Umweltministerium, seien schon Hummer gefunden worden, die die Plastikbändchen amerikanischer Exportfirmen getragen hätten.

Diese Unterstellung macht wiederum die US-Hummerexporteure nervös. Sie könnte ein europäisches Importverbot lebendiger Lobster teuer zu stehen kommen. Weil Gourmets rund um die Welt den Hummer lieber frisch verzehren, wird die Delikatesse – einstmals Essen der Armen – gemeinhin nur lebendig transportiert. Und so laufen sich in den USA bereits die ersten Anwälte und Wissenschaftler warm, um zu beweisen: dass der amerikanische Hummer keine Krankheiten verbreitet. Und dass 30 noch keine echte Invasion bedeutet.